KYOTO (dpa) - Der Abschied hat begonnen und Joachim Gauck tut alles, keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen. Im Gegenteil: Der Besuch in Japan bietet ihm noch einmal Gelegenheit, sein großes Thema vorzutragen.
Es war noch einmal ein Termin ganz nach seinem Geschmack. An der Universität von Kyoto, einer der wichtigsten Japans, traf der Bundespräsident eine Gruppe Studenten und Doktoranden, alle der deutschen Sprache mächtig. Eigentlich wollte Joachim Gauck vor allem den jungen Leuten zuhören, am Ende redet natürlich auch er, ziemlich viel, ziemlich gut gelaunt.
Es ist seine letzte größere Auslandsreise als Bundespräsident. Wehmut verspüre er nicht, sagt er, noch nicht.
Gauck hat in Japan Kaiser Akihito getroffen, den Ministerpräsidenten Shinzo Abe, Bürgermeister und Gouverneure. Aber: «Mich interessieren immer auch die Menschen, die regiert werden», sagt er und will damit demonstrieren, dass er eben nicht nur mit gekrönten Häuptern, Staats- und Regierungschefs spricht auf seinen Auslandsreisen, sondern auch etwas vom wirklichen Leben mitbekommen will.
«Demokratie muss ein lernfähiges System sein», erklärt er den jungen Leuten, und einges mehr: China habe eine «frühkapitalistische Wirtschaft», zuhause wolle er einen «deutschen islamischen Religionsunterricht». Und so weiter. Wenn die Fragen zu konkret werden, etwa zur deutschen Politik nach dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA, wiederholt er, was er oft gesagt hat in den fast fünf Jahren: «In die operative Politik mische ich mich nicht ein.»
Mehr als 50 Länder hat Gauck in seiner Amtszeit bisher besucht, demonstrativ begann es mit einem Antrittsbesuch in Polen. Früher Höhepunkt war die Einladung der niederländischen Königin Beatrix zum Tag der Befreiung nach Breda. Es folgten Israel und Frankreich, Italien und Dänemark, Kolumbien und Brasilien, Indien und Myanmar und dann 2014 das große Jahr des Gedenkens an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Mit der Rede im Januar 2014 vor der Münchener Sicherheitskonferenz hat Gauck sein großes Thema gefunden, das ihn auch auf vielen Auslandsreisen nicht loslässt. Deutschland darf sich nicht mehr wegducken, muss Verantwortung übernehmen, im Notfall auch militärisch. Damals wäre die Idee eines US-Präsidenten Donald Trump noch als niveauloser Scherz abgetan worden.
Jetzt treibt das Ergebnis der US-Wahlen Gauck an, sein Plädoyer zu untermauern. Deutschland und Japan müssten mehr für ihre Verteidigung tun, sagt er, wohl wissend, dass er damit in Japan eine heikle Debatte befeuert. Während Kaiser und Kronprinz nach dem schuldbeladenen Zweiten Weltkrieg das Prinzip des Pazifismus hochhalten, will der stramm konservative Premier Abe das militärische Engagement Japans erweitern.
Aber bei aller Bewunderung für Kaiser Akihito: Pazifismus ist aus Gaucks Sicht keine Option. Es könne sogar unethisch sein, sich aus Konflikten herauszuhalten.
Auch ein anderes zentrales Thema seiner Amtszeit begegnet Gauck in Japan. Immer wieder hat er versucht, Zutrauen statt Verunsicherung zu predigen, aber der Aufstieg der rechten Populisten auch in Deutschland wird selbst im Fernen Osten mit Beunruhigung registriert.
«In diesem Tagen erkenne ich manchmal mein Deutschland nicht wieder», sagt der japanische Germanist und Politikwissenschaftler Takeshi Kawasaki, als ihm Gauck einen Preis verleiht. Er verweist auf Stimmungen, Ängste und Vorurteile gegen alles Fremde.
Diese Sorge ist Gauck nicht unbekannt, aber man muss ihm unterstellen, dass er sein Deutschland - trotz AfD und Pegida, trotz rechter Anschläge auf Flüchtlingsheime und ausländerfeindlicher Hetze im Netz - durchaus noch erkennt. Als er im Juni seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit erklärte, geschah das auch in der Gewissheit, dass Deutschland trotz Flüchtlinkskrise und AfD-Erfolgen nicht in einer schweren Krise steckt. «Das Staatsschiff ist nicht im Orkan, aber es gibt Wellen», sagte er damals.
Noch bleiben auf den Tag genau vier Monate, den Deutschen Mut zuzusprechen, und den Verunsicherern entgegenzutreten. Dass aller Voraussicht nach Außenminister Frank-Walter Steinmeier sein Nachfolger wird, lässt Gauck offensichtlich entspannt auf sich zukommen. «Mit einem Lächeln im Gesicht.»