Floridas Kampf gegen die Sturmfolgen

Foto: epa/Rhona Wise
Foto: epa/Rhona Wise

KEY WEST (dpa) - Ein Bulldozer macht sich an dem riesigen Schutthaufen zu schaffen. Autoteile, Boote und jede Menge Kühlschränke - alles liegt meterhoch aufgetürmt entlang der Straße, die eigentlich zu den Traumrouten dieser Welt gehört. Floridas Highway No. 1 führt vom Festland auf 125 spektakulären Meilen über die Inselkette der Keys bis nach Key West - dem südlichsten Punkt des US-Festlandes, nur 90 Meilen von Kuba entfernt. Die Inselkette wurde wie der gesamte Süden Floridas am 10. September von Hurrikan «Irma» getroffen und schwer verwüstet.

Sieben Wochen später sind die Schäden längst nicht beseitigt - und die Hauptsaison für die Touristen in dem Sonnenschein-Staat steht bevor. Über die Wintermonate ist das milde Klima Floridas bei Urlaubern aus aller Welt besonders beliebt, nicht zuletzt bei denen aus Deutschland. «Snowbirds» werden die Winterflüchtlinge liebevoll genannt. Mit Flugzeugen und Kreuzfahrtschiffen reisen jährlich mehrere Hunderttausend Deutsche an die Südspitze der USA, um schneeweiße Strände, unberührte Wildnis und in Orlandos Disney World das Gegenteil davon zu genießen.

Allein auf den Keys bringen Touristen jedes Jahr 2,7 Milliarden Dollar an Einnahmen, die Branche stellt nach einer offiziellen Statistik der Bezirksregierung 54 Prozent der Arbeitsplätze. Über eine Million Menschen in Florida arbeiten im oder für den Tourismus.

Der Sturm hat eine Schneise geschlagen: Hotels wie etwa in Fort Lauderdale können nicht öffnen, Piers wie etwa in Naples sind wegen Baufälligkeit gesperrt. In Key West liegen mitten in der Stadt die Bäume noch immer quer, Schutt ist nicht abtransportiert, gesunkene Boote sind nicht gehoben. Auf Key Largo kommen nur halb soviele Gäste zum Delfinschwimmen wie in einem normalen Herbst. Florida sieben Wochen nach dem Sturm gleicht in Teilen noch immer einem Katastrophengebiet - in anderen Teilen sieht es dagegen aus, als wäre nichts gewesen. Hotels und Restaurants, die geöffnet haben, versuchen mit großen Schildern Gäste zu ziehen. «Wir haben offen!», prangt in Riesenlettern an den Eingängen.

Besonders die spektakuläre Inselkette der Keys, wo «Irma», vollgetankt mit dem badewannenwarmen Wasser des Golfes von Mexiko, mit Stärke vier und voller Wucht aufgetroffen war, ist nach dem Sturm noch längst nicht wieder zu alter Stärke zurückgekehrt. Eine eigenartige Mischung aus Goldgräberstimmung und Resignation hat sich breit gemacht.

«Einige Menschen haben alles verloren», sagt Brad Peterson. Der 45-Jährige verkauft auf dem Inselchen Marathon Boote. «Viele Menschen wohnen darauf, wenn das Schiff weg ist, ist alles weg», sagt Peterson. Und es sind viele Schiffe weg. Von 11.000 gesunkenen Booten ist die Rede, genaue Zahlen gibt es noch nicht. Knapp 1.500 sind offiziellen Angaben zufolge bereits gehoben, 12,5 Millionen Dollar dafür ausgegeben. «Der Job ist längst nicht erledigt», sagt JoAnne Hanson von der Küstenwache.

Viele Eigner lassen ihre Yachten einfach liegen, weil sie nicht versichert sind oder mit Schwarzgeld bezahlt wurden. Die Wracks sind inzwischen zum Sicherheitsrisiko geworden. Schwimmer und Taucher müssen aufpassen, sich nicht zu verletzen. Die Anbieter von Boot-Garagen machen Werbung mit deren Sturmtauglichkeit. «99 Prozent unserer Boote kamen mit Null Schaden davon», heißt es auf dem Werbeplakat eines Boote-Lagerplatzes in Key Largo.

Florida war auf den Sturm verhältnismäßig gut vorbereitet - aber nicht gut genug. Strommasten aus Holz fielen bei Windböen von weit mehr als 130 Kilometer pro Stunde wie Streichhölzer. Auf der Straße durch den Nationalpark Everglades ersetzen Bautrupps die gefallenen Holzmasten inzwischen durch Betonpfeiler - ein Fortschritt.

Dennoch warten die Einheimischen seit Wochen auf Hilfe aus Washington. In Ocala stehen noch in den letzten Oktobertagen Hunderte bei der Essensausgabe. Sie haben im Hochwasser ihre Kücheneinrichtungen verloren. Allein für Essensvorräte gab die öffentliche Hand seit «Irma» 1,2 Milliarden Dollar aus. Die Gesamtschäden liegen wohl im dreistelligen Milliardenbereich.

Und die Menschen warten noch immer auf das Geld aus der Hauptstadt. Ron und Rita Perreault, ein Rentnerehepaar aus Bonita Springs im Norden von Naples, rufen jeden zweiten Tag bei der Katastrophenschutzbehörde FEMA an - bisher erfolglos, wie sie der «New York Times» berichteten. Seit ihr Mobilheim unter dem Sturm zusammenbrach, sind sie wohnungslos. Offenbar gibt es vor allem Rückstau bei der Schadensbegutachtung.

Die Senatoren Marco Rubio und Bill Nelson wandten sich diese Woche mit einem Brandbrief an den Chef der Behörde, Brock Long. «Zehntausende Häuser sind unbewohnbar geworden, die Menschen leben mit heruntergefallen Decken und Schimmel», heißt es in dem Schreiben. «Das sind keine duldbaren Lebensbedingungen.» Der Staat Florida selbst hat seinen Landkreisen noch nicht einmal die Hurrikanhilfe für die Stürme im vergangenen Jahr in voller Höhe ausgezahlt, wie aus jüngst veröffentlichten Unterlagen des Gouverneurs hervorgeht.

In Key West feiert das schräge Volk dagegen schon wieder, etwa beim «Fantasy Fest», das immer Ende Oktober eine Woche lang in dem hippen Örtchen steigt. Männer mit Tütü-Röckchen und barbusige Frauen im Rentenalter haben einen Steinwurf vom ehemaligen Wohnhaus Ernest Hemmingways entfernt richtig Spaß. Auch wenn das Fest in diesem Jahr ein wenig kleiner ausfiel - das Partyvolk kam auch, um den Tourismus wieder in Gang zu bringen.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.