Fischerdorf soll Pakistan retten

Foto: epa/ Nadeem Khawer
Foto: epa/ Nadeem Khawer

GWADAR/QUETTA (dpa) - Die Keimzelle des Wirtschaftswunders riecht nach Fisch. Von einem Aussichtspunkt auf den Klippen aus ist eine Reihe Schwerlastkräne zu sehen, die ein flaches, weißes Fischerstädtchen weit überragen.

Davor liegen weite Sandflächen noch brach und beige in der feuchten Hitze eines südpakistanischen Oktobertages. Das lauteste Geräusch ist der Wind über dem Meer. Dies ist Gwadar, Heimat von Fischern, Bootsbauern und Staub. Es ist auch das Zentrum eines Vorhabens, das Pakistans Schicksal ändern soll.

CPEC - gesprochen «Sipec» mit scharfem S -, so ist dieses Projekt in Pakistan allgemein bekannt. CPEC steht für «China-Pakistan Economic Corridor». Mindestens 57 Milliarden Dollar will China in CPEC stecken, in Form von Krediten für pakistanische Projekte, aber auch Subventionen und eigenen Investitionen. Die ersten Verträge wurden 2015 unterzeichnet, weitere scheinen ständig dazuzukommen.

Für China ist CPEC ein Teil seiner «Neuen Seidenstraße», ein Projekt, das ein ganzes Netz neuer Handelsrouten vorsieht. Über eine Grenze im Norden von Pakistan und eine Landroute will China seine armen westlichen Provinzen mit dem Hafen in Gwadar und so mit der Welt verbinden. Pakistan wiederum erhofft sich vom Megaprojekt eine Art Marshall-Plan, wie ein Kommentator es mal genannt hat: Es soll die marode Wirtschaft des Landes vollständig umkrempeln und eine neue Ära als regionale Supermacht bringen. Die Konflikte mit den Nachbarn Indien und Afghanistan lösten sich dann sowieso. «Frieden und Wohlstand durch die gemeinsame wirtschaftliche Entwicklung unserer Völker», lautet ein Lieblingsslogan von Ex-Premier Nawaz Sharif.

Gleichzeitig gibt es seltsam wenige Fakten. Es ist die Rede von Fabriken und Kraftwerken, Pipelines, Autobahnen und Wirtschaftszonen - aber ein Plan, was wo wann genau entstehen soll, ist nie öffentlich geworden. Möglicherweise ist die Detailarmut Absicht. CPEC kann so in der kollektiven Fantasie über sich selbst hinauswuchern. Denn CPEC, das ist ein Langzeitvorhaben. Pakistan aber - mit 220 Millionen Menschen schon jetzt fünftgrößtes Land der Welt - wird geplagt von Armut und Extremismus und kann schon jetzt etwas Hoffnung gebrauchen.

Gwadar ist ein Herzstück dieser Vision und wohl das bisher fassbarste Element. Es liegt am südlichsten Ende des Landes, am Indischen Ozean und vor dem Eingang zum Persischen Golf, was China schnelleren Zugang zu einigen der meistbefahrenen Schifffahrtsrouten und den ölreichsten Ländern der Welt gibt. «Schon 2022 wird dies der größte Frachthafen Südasiens sein», sagt Dostain Jamaldini, der Chef der Hafenentwicklungsbehörde, ein runder Herr mit Schnurrbart und Optimismus in den Augen. «Später wird er einer der größten der Welt.»

Auf einer Karte zeigt er die Ausmaße der Vision: 51 Quadratkilometer Grund entlang eines 29 Kilometer langen Küstenstreifens, eine Freihandelszone, Industrieanlagen. Rote Pfeile zeigen, wann das alles fertig werden soll. Dieses Jahr. Nächstes. In fünf. In 30 und danach.

An diesem Tag liegt nur ein Schiff am 602 Meter langen Kai. Bisher seien es im Monat nicht mehr als vier, gibt Jamaldini zu. Die meisten bringen Arbeiter aus China. Aber nicht weit entfernt vom Kai sind gerade 1.000 Unterkünfte fertig geworden. Ein Verwaltungsgebäude ist im Bau. Bald sollen die Arbeiten an der Freihandelszone beginnen, an Fabriken, einem neuen internationalen Flughafen. «300 Millionen Dollar geben die Chinesen dieses Jahr in Gwadar aus, bis 2028 rund acht Milliarden», sagt Jamaldini. Wieviel genau Pakistan ausgeben muss für den Traum - und ob es je in der Lage sein wird, die chinesischen Kredite auch zurückzuzahlen - bleibt unklar.

Von chinesischer Seite gibt es dazu keinen Kommentar. Der Chef der China Overseas Port Holding Company - Jamaldinis Gegenstück - bleibt unsichtbar, der chinesische Botschafter im Land oft vage. Manchmal sagte er, die Sorge vieler Pakistaner, dass das Projekt nur chinesischen Firmen Aufträge bringen wird, sei unbegründet. Die, denen diese Stadt bisher gehört hat, die Fischer und Bootsbauer, schwanken zwischen Skepsis und Hoffnung. «Für uns hat sich bisher nichts geändert, aber ich hoffe, dass unsere Kinder in der Zukunft hier gute Jobs finden», sagt einer. Als nächstes müssen vermutlich aber wohl erst einmal Tausende Fischer umziehen. Ihre Anleger und Häuser sind den geplanten Bauarbeiten im Weg.

Wie wichtig Gwadar für Pakistan ist, ist abzulesen an der Sicherheitsparanoia rund ums Fischernest. Wie groß die 404. Brigade ist, die Gwadar schützt, ist geheim - «aber ganz schön groß», sagt der Sicherheitschef Kamal Asfar lächelnd durch den Rauch seiner Zigarette bei einem Treffen am Abend. Gwadar liegt ausgerechnet in Baluchistan, der unsichersten und ärmsten Provinz von Pakistan. Separatisten und Islamisten aller Couleur treiben sich hier herum. Ausländische Besucher bekommen eine bewaffnete Eskorte.

«Außerdem haben wir überall Geheimdienstleute, um sicherzugehen, dass nichts schiefgeht», sagt Asfar. Denn: «Wir haben glaubhafte Informationen, dass fremde Spione Interesse daran haben, CPEC zu ruinieren oder aufzuhalten.» Er meint Indien und Afghanistan, die Pakistan beide vorwerfen, Terroristen auf ihre Länder loszulassen. Das massive Militäraufkommen in Gawadar ist wohl nicht proportional zur realen Bedrohung. Es erscheint eher proportional zur Angst, dass etwas passiert und die Chinesen daran zweifeln könnten, in Pakistan auch gut aufgehoben zu sein mit ihrem Wirtschaftswunder in der Mache.

Das Militär geht deshalb auch entschlossen daran, die Bevölkerung auf seine Seite zu holen. «Denn wenn die Menschen aufseiten der Regierung sind, dann schrumpft der Bewegungsspielraum der Aufständischen», sagt Oberst Asfar. Es hat eine Schule und ein Berufsbildungsinstitut ausgebaut. Es hat auch ein großes Krankenhaus wiedereröffnet, das lange geschlossen war. Alles ist jetzt neu, samt aus Deutschland importiertem antibakteriellem Bodenbelag in der Geburtsabteilung. Die Behandlung ist kostenlos.

Allerdings hat Gwadar, das auf den Werbevideos der Regierung schon aussieht wie Dubai, immer noch bis zu 16 Stunden am Tag keinen Strom und viel zu wenig Trinkwasser. Ein Damm war ausgetrocknet und dann war in der teuren neuen Entsalzungsanlage auch noch der Tank zerbrochen. Bald aber sollen mehrere Dämme in der Umgebung fertigwerden. «Dann haben wir hier Wasser im Überfluss», sagt Sajjad Baloch, der Leiter der Stadtverwaltung. «Bald» ist das Zauberwort in Gwadar, wo Wohlstand, Glück und Frieden gleich um die Ecke sind.

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