Ferngesteuerter Missbrauch aus deutschen Wohnzimmern

Foto: epa/Boris Roessler
Foto: epa/Boris Roessler

TRAUNSTEIN/WIESBADEN (dpa) - Sie beobachten nicht nur Menschen, die sich an Kindern vergehen. Sie geben auch noch Regieanweisungen. Eine relativ neue Form des Kindesmissbrauchs zieht auch in Deutschland Kreise.

Der Mann soll den Kindesmissbrauch live per Webcam verfolgt haben. Gegen Geld soll er Täter und Opfer Handlungsanweisungen gegeben, gewissermaßen Regie geführt haben. Anfang des Monats wanderte der 48-Jährige aus dem oberbayerischen Landkreis Altötting in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Traunstein und das Bundeskriminalamt (BKA) schreiben vom «noch neuen Modus Operandi des «Webcam Child Sex Tourism»» (WCST).

Das Phänomen Webcam-Kindersextourismus gibt es seit wenigen Jahren. Genaue Zahlen nennt das BKA nicht. Wie in dem gesamten Bereich gebe es aber eine hohe Dunkelziffer, sagt Matthias Wenz vom Referat zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. «Das betrifft den intimsten Bereich. Da spricht niemand offen drüber.» Ganz selten stießen die Ermittler auf einen größeren Personenkreis, der sich darüber austausche und auch persönlich kenne.

WCST könne eine Alternative für den tatsächlichen Sextourismus sein, bei dem Täter ins Ausland fahren, um sich an Kindern zu vergehen. «Wir vermuten, dass der eine oder andere mit Webcam-Sex die Zeit bis zur nächsten Reise überbrücken will», sagt Wenz. Früher hätten manche Täter ganze Filme in Auftrag gegeben und dafür sogar Drehbücher geschrieben.

Das Kinderhilfswerk terre des hommes betont: «WCST ermöglicht Missbrauchern den direkten Zugang zu ungeschützten Kindern gegen ein geringes Entgelt, was bedeutet, dass sie Opfer in anderen Ländern leichter und häufiger missbrauchen können als je zuvor.» 10 bis 100 US-Dollar zahle ein Kunde im Schnitt pro «Show».

Generell ließen sich die Täter schwer einordnen, sagt Wenz. «Sexueller Missbrauch zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten, unabhängig von Job oder Vermögen.» Fachleute von terre des hommes in den Niederlanden haben vor Jahren mit dem Fake-Account Sweetie 1000 Kunden identifiziert, darunter 44 aus Deutschland. Auch Frauen seien unter den Tätern. Die Kunden seien meist in reichen Ländern zu Hause, die Opfer in ärmeren. Von einem sozial-wirtschaftlichen Gefälle spricht auch Wenz: Es gebe sogar Familien, die «in vollem Bewusstsein ihre Kinder anbieten, um Geld zu verdienen und somit zu überleben».

Für die Ermittler ist WCST eine komplizierte Materie: «Wir bekommen nur sehr selten mit, wenn es solche Taten gibt», sagt Wenz. 40.000 öffentliche Chatrooms gebe es, in denen Kindesmissbraucher aktiv seien, berichtet terre des hommes unter Berufung auf das FBI. Tipps kommen auch von Kinderschutzorganisationen. Oder Fahnder stoßen auf entsprechende Hinweise bei sichergestelltem Kinderpornomaterial.

Dann können sie versuchen, Verdächtige zu überwachen. «Tor-Netzwerke oder andere Kryptierungen erschweren es uns, in die Datenübertragung zu gelangen», sagt Wenz. Manchmal gebe es Lücken im System. Das genaue Vorgehen jedoch bleibt geheim. Der Traunsteiner Staatsanwalt Björn Pfeifer erklärt, das BKA habe die Ermittlungen im Fall des 48-Jährigen wegen der internationalen Kontakte des Amts geführt.

Laut terre des hommes wird der eigentliche Missbrauch oft auf den Philippinen vollzogen. Die Experten haben erschreckende Entwicklungen festgestellt: Das Phänomen breite sich auf ländliche Gebiete aus, berichtet Hans Guyt. Die Opfer würden immer jünger - selbst Babys würden inzwischen angepriesen. Und die Gewalt werde extremer: «Vergewaltigungen, Gangbang, Folter sind nicht mehr außergewöhnlich.»

Wird ein WCST-Kunde in Deutschland gefasst, macht er sich wegen der Einflussmöglichkeiten auf Missbraucher, Opfer und das Geschehen in gleichem Maße strafbar wie der Missbraucher vor Ort. 2 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe drohen dem Mann aus Oberbayern laut Staatsanwalt Pfeifer unter anderem wegen Anstiftung zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern. Für ihn ist es der erste Fall dieser Art.

Wenn deutsche Behörden Hinweise darauf haben, wo die Webcam auf der anderen Seite installiert ist, werden Kollegen im Ausland informiert. «Wiederholte sexuelle Ausbeutung ist für Kinder extrem schädlich», betonen die Fachleute von terre des hommes. Selbst wenn es keinen Körperkontakt gebe, verringere das nicht das psychologische Trauma.

Doch BKA-Mann Wenz macht auch deutlich: «Sie wären überrascht, wie viele Teenager freiwillig Nacktbilder ins Netz stellen.» Im guten Glauben, ohne Unrechtsbewusstsein. Problematisch werde es, wenn die Jugendlichen dann damit erpresst werden. Daher sollten Eltern immer auch einen Blick auf die Netzaktivitäten ihrer Kinder haben.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

aurel aurelis 16.08.17 16:49
widerlich
Viele Eltern sind ehrlich überfordert, die IT-Aktivitäten ihrer Kinder zu kontrollieren. In Vielem half früher eine angemessene Erziehung. Nicht mit Schläge wie Manche es verstehen. Gutes Beispiel ist die beste Erziehung. Wollte der Staat ernsthaft etwas gegen die unbeschreibliche Schweinerei sich an Kindern zu vergehen etwas tun, es gäbe mehr Möglichkeiten und es gibt drastischere Strafen. Um sie von ihrer "Langweile" zu kurieren gehören solche Kinderschänder an den Pranger und in Arbeitslager.
Jürgen Franke 16.08.17 13:56
Ein ganz widerliches Thema, über das der
FARANG hier berichten muß. E ist nur zu hoffen, dass die Täter schnellstens identifiziert werden und entsprechen bestraft werden. Bedauerlich ist der Hinweis, dass selbst Eltern ihre Kinder für derartige Zwecke anbieten.