«Etwas Illegales geraucht»? - Fiat, VW und die Abgas-Vorwürfe

Sergio Marchionne. Foto: epa/Jeff Kowalsky
Sergio Marchionne. Foto: epa/Jeff Kowalsky

BERLIN/ROM (dpa) - Wenn es um den Erzrivalen Volkswagen geht, klopft Fiat-Boss Sergio Marchionne gern markige Sprüche. Ein «Blutbad» seien die - angeblich aus Wolfsburg angezettelten - Auto-Rabattschlachten, tönte der Manager schon mal. Dass ausgerechnet sein eigener Konzern jetzt nach VW als nächster großer Hersteller von den nicht minder zimperlichen US-Behörden wegen Abgas-Vorwürfen durchleuchtet wird, kann den Lenker der Fiat-Chrysler-Gruppe (FCA) nicht kalt lassen.

Entsprechend griffig reagiert der Chef des italienisch-amerikanischen Konkurrenten. «Wer uns mit dem deutschen Unternehmen vergleicht, hat etwas Illegales geraucht», sagte Marchionne am Freitag der Zeitung «La Repubblica». Derber Humor oder Ausdruck von Unsicherheit?

Gerade erst schloss VW in den USA - fast eineinhalb Jahre nach Beginn des Abgas-Skandals - einen teuren Deal. Für 4,3 Milliarden Dollar kaufen sich die Deutschen frei, wobei aber Anklagen mit empfindlichen Strafdrohungen gegen sechs Manager weiterlaufen. Einer davon wurde in Miami festgesetzt und muss schlimmstenfalls mit langer Haft rechnen. Solch ein Szenario will sich wohl kein anderer Autobauer ausmalen.

Ein Vergleich der Fälle ist bisher nicht möglich. Während VW selbst kriminelle Manipulationen zugab und wegen der Täuschungs-Software in den USA noch kostspieligere Entschädigungen für Kunden und Händler schlucken musste, gibt es bei Dieseln der FCA-Marken Jeep und Dodge heute nur den Verdacht, Stickoxid-Werte könnten gefälscht worden sein. Marchionne versicherte: «Wir haben keinerlei Betrug begangen.»

Das Umweltamt EPA dürfte allerdings nicht locker lassen, bis dies zweifelsfrei bewiesen ist. Und zumindest auf der Verdachtsebene gibt es durchaus Parallelen zu dem, was monatelange Ermittlungen des FBI in der Causa VW ergaben: das mutmaßliche Verschleiern einer Software, mit der der wahre Abgasausstoß von Dieselautos geschönt werden kann.

Bei VW fand man Hinweise auf eine «fast zehnjährige Verschwörung». Nicht begangen von «irgendeinem gesichtslosen Konzern, sondern von Menschen aus Fleisch und Blut, die ihre Position nutzten, um Regulierer und Verbraucher zu betrügen», wie US-Vizejustizministerin Sally Yates betonte. Zur Gruppe der dort Beschuldigten gehört auch der frühere Entwicklungsvorstand der Marke VW, Heinz-Jakob Neußer. Mit ihm soll der festgenommene Manager eng zusammengearbeitet haben.

Die Vorwürfe lesen sich wie ein Krimi. Früh sollen VW-Ingenieure Zweifel am Programm geäußert haben, das Stickoxid-Werte bei Tests um das bis zu 40-fache zum Straßenbetrieb drückte. Dennoch hätten die Männer es weiter genehmigt und gegenüber den US-Behörden verheimlicht. Um den April 2013 herum habe Neußer dann ein zusätzliches Modul bewilligt, mit dem der Einschlagwinkel des Lenkrads - und damit die Testprozedur - noch besser erkannt werden konnte, heißt es in dem Gerichtsdokument.

Das Software-Update sei den Kunden einfach bei Routineterminen in der Werkstatt aufgespielt worden. Daten des Umweltforscherverbunds ICCT zeigten im Frühjahr 2014 Unregelmäßigkeiten. Dennoch hätten die sechs VW-Leute «die Strategie verfolgt, so wenig wie möglich aufzudecken» - wobei sie «insgeheim wussten, dass der Hauptgrund der Abweichungen die Täuschungs-Software war», wie das Justizministerium erklärte.

VW wollte sich mit Blick auf die laufenden Verfahren nicht dazu äußern. Konzernchef Matthias Müller hatte am Mittwoch allgemein zur Einigung mit Washington gesagt: «Volkswagen bedauert die Handlungen, die zur Dieselkrise geführt haben, zutiefst und aufrichtig.» Neußers Anwältin war zu den Vorwürfen am Freitag nicht zu erreichen. Der in Florida verhaftete Manager, über dessen Fall auch die «Bild»-Zeitung berichtet hatte, darf wegen Fluchtgefahr die USA nicht verlassen.

Und die anderen fünf? US-Behörden vermuten, dass sie in Deutschland sind - und machen sich keine Hoffnungen auf eine Auslieferung. Die parallel ermittelnde Staatsanwaltschaft Braunschweig nennt keine Details. Das Team um Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe und Experten des LKA Niedersachsen hat hier 31 Beschuldigte im Visier - wegen möglicher Marktmanipulation auch Ex-Konzernchef Martin Winterkorn, VW-Markenchef Herbert Diess und Chefaufseher Hans Dieter Pötsch.

Das hat mit den US-Verfahren zwar direkt nichts zu tun. Ziehe sagte jedoch, der Austausch mit den amerikanischen Kollegen sei «sehr eng und gut». Eine Auslieferung wäre laut der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig nicht möglich, wie eine Sprecherin der Behörde der «Braunschweiger Zeitung» sagte. Aber: «Die Betroffenen dürften sich nun gründlich informieren, welche Länder sie künftig noch bereisen.»

Bei Fiat sind derlei mögliche Entwicklungen unklar oder bestenfalls in weiter Ferne. Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat die Firma auf dem Kieker, Prüfungen des Kraftfahrt-Bundesamts ergaben einen Verdacht auf Einsatz unzulässiger Software. Die Behörden in Italien ließen die Deutschen bisher aber eher auflaufen.

Ob sie mit der EPA so umspringen können? Befürchtungen auch deutscher Politiker, die USA hätten mit dem Fall VW Industriepolitik zugunsten eigener Konzerne betrieben, dürften mit Blick auf die Jeep- und Dodge-Diesel aus dem Haus FCA als fraglich gelten. Marchionnes größte Hoffnung liegt nun auf der Regierung des künftigen Präsidenten Donald Trump und dem neuen EPA-Chef, der die Behörde umkrempeln will. Mit dieser Administration wolle man gern kooperieren, so Fiat Chrysler - ein demonstrativer Seitenhieb auf das noch amtierende Personal.

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