Erneut Inhaftierung von Menschenrechtlern in der Türkei

Foto: epa/Nicolas Armer
Foto: epa/Nicolas Armer

ISTANBUL/BERLIN (dpa) - Die Türkei hat mit der Inhaftierung eines Deutschen und fünf weiterer Menschenrechtsaktivisten international große Empörung ausgelöst. «Das ist keine legitime Untersuchung, das ist eine politisch motivierte Hexenjagd», kritisierte der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, am Dienstag. Neben der Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser sitzen der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner und der Schwede Ali Gharavi in Untersuchungshaft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Inhaftierung Steudtners scharf und forderte seine Freilassung.

«Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Verhaftung absolut ungerechtfertigt ist», sagte die Kanzlerin. «Wir werden seitens der Bundesregierung alles tun, auf allen Ebenen, um seine Freilassung zu erwirken. Es ist leider ein weiterer Fall, wo aus unserer Sicht unbescholtene Menschen in die Mühlen der Justiz und damit auch in Haft kommen. Deshalb ist das ein Grund zu allergrößter Sorge.»

Nach Ansicht der SPD ist Merkels Strategie im Umgang mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gescheitert. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagte dem «Spiegel»: «Was wir derzeit in der Türkei erleben, überschreitet alle Grenzen.» Was in der Türkei ablaufe, sei unerträglich und überschreite alle Grenzen, sagte er später in Stuttgart. «Herr Erdogan ist dabei, den Rechtsstaat abzubauen.» Merkel dürfe nicht länger schweigen, wenn Erdogan immer mehr Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ins Gefängnis werfen lasse.

Die zehn Menschenrechtler waren am vorvergangenen Mittwoch bei einem Workshop zum Thema «Digitale Sicherheit und Informationsmanagement» in Istanbul festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft den acht türkischen und zwei ausländischen Menschenrechtlern vor, eine nicht näher genannte «bewaffnete Terrororganisation» zu unterstützen.

«Das ist ein Angriff auf die gesamte Menschenrechtsbewegung in der Türkei», sagte der Türkei-Experte von Amnesty International, Andrew Gardner. Vier weitere Menschenrechtler habe der Haftrichter in Istanbul am Dienstagmorgen bis zu einem Prozess unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt - sie dürfen fortan das Land nicht verlassen und müssen sich dreimal die Woche bei der Polizei melden. Sechs kamen in Untersuchungshaft.

Erdogan hatte die Menschenrechtler zuvor in die Nähe von Putschisten gerückt. Erdogan macht die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist. Als Grund der Untersuchungshaft wurde im Protokoll der Gerichtsverhandlung hohe Fluchtgefahr genannt.

Ein Regierungssprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Bundesregierung habe keine Indizien dafür, dass die Vorwürfe gegen die Workshop-Teilnehmer zutreffend seien.

Der deutsche Menschenrechtler Steudtner wird durch das deutsche Generalkonsulat in Istanbul betreut. Familienangehörige, Freunde und Kollegen forderten seine sofortige Freilassung. Es sei schockierend, dass das gewaltfreie Engagement Steudtners dazu geführt habe, dass der 45-Jährige nun im Gefängnis sei, hieß es in einer Mitteilung. Auch Steudtners Lebensgefährtin wies die Vorwürfe zurück. «Diese Unterstellungen sind total absurd», sagte Magdalena Freudenschuss der dpa. Die Inhalte des Seminars seien in keiner Weise politisch gewesen. Die Inhaftierung sei eine schwere Belastung für die Familie.

Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen nannte die Verhaftungen eine «Geiselnahme» und forderte als Folge eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts. «Die Beschwichtigungspolitik der Bundesregierung in Sachen Türkei ist endgültig gescheitert und stellt eine Gefahr für deutsche Staatsbürger dar, weil jeder Deutsche in der Türkei als Geisel genommen werden könnte», teilte sie mit.

Erst im Juni war gegen den Amnesty-Landesvorsitzenden in der Türkei, Taner Kilic, Untersuchungshaft verhängt worden. Auch der deutsch-türkische «Welt»-Korrespondent Deniz Yücel und die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu sitzen in der Türkei wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft.

Im Zusammenhang mit dem Putschversuch vor einem Jahr sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung bislang 22 deutsche Staatsbürger in der Türkei festgenommen worden. Das geht aus einer Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu hervor. 13 Betroffene wurden demnach wieder aus der Haft oder dem Polizeigewahrsam entlassen, neun seien weiter inhaftiert.

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Hardy Kromarek Thanathorn 20.07.17 14:21
Diktatur in der Türkei!
Es muss jeder selber wissen, was Er tut! Es ist allen bekannt, das Erdogan ein " mutmaßlicher Diktatur, Erpresser, Terrorist und Geiselnehmer ist " ist!!! So lange Europa - Deutschland tatenlos zu sieht, wird sich nichts ändern! Es hätte schon längst eine " Reisewarnung " von ganz Europa, oder zu mindestens Deutschland, raus gegeben werden müssen! Dieses ganze bla, bla, bla, was die Bundesregierung da macht, ist schon absolut lächerlich!