Erdogan wirft Merkel persönlich «Nazi-Methoden» vor

Foto: epa/Turkish President Press Office
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BERLIN/FRANKFURT/BRÜSSEL (dpa) - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich «Nazi-Methoden» vorgeworfen. «Du wendest auch gerade Nazi-Methoden an», sagte Erdogan am Sonntag in Istanbul an Merkel gerichtet.

«Bei wem? Bei meinen türkischen Geschwistern in Deutschland, bei meinen Minister- Geschwistern, bei meinen Abgeordneten-Geschwistern, die dorthin reisen», sagte Erdogan. Mit Blick auf Europa sagte Erdogan, dort könnten «Gaskammern und Sammellager» wieder zum Thema gemacht werden, aber «das trauen sie sich nur nicht.» Offen ließ Erdogan, wen er mit «sie» genau meinte.

Die Bundesregierung hat bisher zurückhaltend auf die Verbalattacken aus Ankara reagiert. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnete die Angriffe erneut als «absurd». «Wir sind tolerant, aber wir sind nicht blöd», sagte er der «Passauer Neuen Presse» (Montag). «Ich habe meinem türkischen Kollegen deshalb ganz deutlich gemacht, dass hier eine Grenze überschritten wurde.»

Der neue SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz nannte Erdogans jüngste Äußerungen eine «Unverfrorenheit». «Dass das Staatsoberhaupt eines befreundeten Landes die Regierungschefin dieses Landes in dieser Form beleidigt, ist eine Frechheit», sagte er am Sonntag in der ARD. Man müsse Erdogan jetzt sagen, dass ein Staatsoberhaupt eines Nato-Mitglieds und eines EU-Beitrittskandidaten «nicht alle Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie mit Füßen treten» dürfe. «Das tut er aber. Das ist eines Staatsoberhauptes unwürdig», sagte Schulz. Im ZDF fügte er hinzu: «Herr Erdogan ist auf dem Weg, jede Art der Kontrolle über seiner Rhetorik zu verlieren.»

Auf die Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker reagiert die türkische Regierung seit Wochen mit immer schärferen Ausfällen. Die Türken stimmen am 16. April über die Einführung eines Präsidialsystems ab, das Erdogans Machtbefugnisse stark ausweiten würde. Eine Mehrheit für Erdogan gilt jedoch nicht als sicher. In Deutschland leben etwa 1,4 Millionen wahlberechtigte türkische Bürger.

Das Verhältnis zu Deutschland wird zusätzlich durch die Inhaftierung des «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel belastet. Erdogan nannte Yücel am Sonntag erneut einen «Agenten und Terroristen». Vor knapp drei Wochen hatte ein Haftrichter in Istanbul Untersuchungshaft für den Deutsch-Türken Yücel angeordnet. Diese kann fünf Jahre dauern, bis es zur Freilassung oder zum Prozess kommt. Yücel wird Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Volksverhetzung vorgeworfen.

Die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner reagierte entsetzt auf die neuen Ausfälle gegen Merkel: «Ist Herr Erdogan überhaupt noch ganz bei Sinnen?», fragte sie. Klöckner sprach sich dafür aus, Erdogan politischen Wahlkampf in Deutschland zu verbieten und die EU-Heranführungshilfen in Milliardenhöhe zu streichen. Vielleicht brauche «Herr Erdogan einfach mal ein Blockseminar in Geschichte, Anstand und Völkerverständigung.»

Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik wies unterdessen in scharfer Form die vom BND geäußerten Zweifel an den Hintergründen des Putschversuchs in der Türkei vom vergangenen Juli zurück. Wenn der Chef des deutschen Geheimdienstes (BND) Zweifel daran äußere, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch stecke, werfe dies die Frage auf, «ob nicht der deutsche Geheimdienst hinter diesem Putsch steckt», sagte Isik dem Sender Kanal 7 am Sonntag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

BND-Chef Bruno Kahl hatte im «Spiegel» die türkische Darstellung angezweifelt, die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen sei für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich. Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin wertete dies als weiteren Hinweis darauf, dass Deutschland die Bewegung um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen «unterstütze».

Kahl hatte die Rolle der Gülen-Bewegung bei dem Putschversuch und damit die Begründung Erdogans für Massentlassungen und Zehntausende Festnahmen in Frage gestellt: «Die Türkei hat auf den verschiedensten Ebenen versucht, uns davon zu überzeugen. Das ist ihr aber bislang nicht gelungen», sagte der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Zudem drehte Kahl die türkische Argumentation um: Der Putsch sei nicht Auslöser, sondern «willkommener Vorwand» für Massentlassungen gewesen, die ohnehin geplant gewesen seien. «Deshalb dachten Teile des Militärs, sie sollten schnell putschen, bevor es auch sie erwischt. Aber es war zu spät», sagte Kahl.

Kalin bezichtigte Deutschland auch der Unterstützung von Terroristen, weil am Samstag Zehntausende Kurden in Frankfurt gegen die türkische Regierung demonstrieren durften. Bei der Kundgebung, die sich vor allem gegen das Verfassungsreferendum richtete, waren auch verbotene Porträts des Anführers der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, mitgeführt worden. Es zeuge von Doppelmoral, wenn auf der Kundgebung Symbole der verbotenen PKK gezeigt werden könnten, während zugleich türkische Minister daran gehindert würden, in Deutschland Wahlkampf zu betreiben.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Hardy Kromarek Thanathorn 21.03.17 10:50
Erdogan, der " kleine Mann " der nix kann!
Erdogan tut sich selber mit seinen eigenen Worten und Taten disqualifizieren! Er wird - wurde nicht nur lächerlich gemacht von " Böhmermann "! Sondern tut es jetzt auch selber! Dieser mutmaßliche kranke, kleine Mann vom Bosporus isoliert sich für Europa selber von ganz allein, mit samt seinem kompletten mutmaßlichen kranken Gefolge!
Jürgen Franke 21.03.17 10:45
Es ist nur zu hoffen, dass die türkischen Bürger,
die in Deutschland, offensichtlich zufrieden leben, mit ihrem Nein zum Referendum und ihrem Wahlverhalten dem Erdogan die entsprechende Quittung im April geben. Mehr Möglichkeiten haben diese Bürger im demokratischen Deutschland nämlich nicht.
Ingo Kerp 20.03.17 14:08
Erdogan und kein Ende.
Als was soll man seine Hass-Kommentare betrachten? Als Satire oder als Äußerung einer großen Verzweiflung vom kleinen Mann am Bosporus? Egal wie der Blickwinkel ist, er ist ein kleiner Möchte-gern-Groß-Sein, der bald wieder auf dem Boden der Tatsachen ankommt. Spätestens, wenn ihm die miserablen Wirtschaftsdaten seines Landes um die Ohren fliegen.