Eingesperrt in der Hölle

Sechs Frauen und Männer betreuen deutschsprachige Gefangene

Haft heisst Hölle

Über 30 deutsche Frauen und Männer verbüssen derzeit in thailändischen Gefängnissen eine langjährige Haftstrafe. Nur wenige überstehen physisch und psychisch diese Hölle. Die Gefangenen sind in überfüllten Zellen eingepfercht, bekommen einen ungeniessbaren Frass vorgesetzt, dämmern in tropischer Schwüle dahin und hoffen auf eine Amnestie des Königs. Umso dankbarer sind die in Bangkok und Chonburi Inhaftierten, dass hilfsbereite Frauen und Männer sie regelmässig besuchen und mit Essen, Lesestoff und Medikamenten versorgen.

Moderne Gefängnisse wie die in Chiang Mai und Chiang Rai sind für thailändische Verhältnisse relativ komfortabel, überbelegte Haftanstalten auf Phu-ket und in Surat Thani erleben inhaftierte Ausländer als Hölle. „Die schlimmsten Zustände herrschen jedoch im Bangkoker Frauengefängnis“, glaubt Claudia Boczek-Stone.

Alle zwei Wochen fährt sie mit ihrer Freundin Monika Dettmann am Klong Prem vor, einem riesigen Gefängniskomplex für Frauen und Männer. Dort warten eine Deutsche und eine Schweizerin auf ihren Besuch. Die Deutsche, Mitte 30, sitzt seit April 1997 ein. Damals war sie wegen eines Drogendeliktes zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Inzwischen ist ihre Haft auf 30 Jahre reduziert worden. Noch länger muss die Schweizerin auf ihre Entlassung warten. Die Thai mit Schweizer Pass stand wegen Mordes vor Gericht und bekam lebenslänglich.

Das heisst täglich schier unmenschlichen Qualen erleiden. Schweissbedeckte Frauen ruhen und schlafen bei 40 Grad auf dem mit PVC ausgelegten Boden. Sie können sich kaum bewegen, dürfen die überfüllten Zellen von 17 bis 6 Uhr nicht verlassen. Rund 200 Gefangene sind auf wenige Quadratmeter Fläche eingepfercht, zwei bis drei Löcher dienen als Toilette, ein kleiner Wassertrog muss für die Hygiene aller reichen. Es riecht nach Urin, Fäkalien, Abfall und Schweiss.

Beim Bau des Bangkoker Frauengefängnisses waren die Behörden von einer falschen Voraussetzung ausgegangen: Rund 5 Prozent aller Straftäter sollten Frauen sein. Heute liegt die Quote bei 18 Prozent. Als Folge dieser Fehleinschätzung sind in Klong Prem allein 7.000 weibliche Gefangene untergebracht. „Wenn ich die Haftanstalt betrete, sehe ich jedesmal unglaubliche Menschenmassen“, erzählt Claudia Boczek-Stone.

Vor 13 Jahren stiess die Deutsche zu einer Gruppe hilfsbereiter Frauen und Männer, die sich zum Ziel gesetzt hatten, inhaftierte Deutschsprachige in Bangkoker Gefängnissen zu betreuen. Die Initiative war zwei Jahre zuvor vom damaligen Pfarrer der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache ausgegangen. Später verselbständigte sich die Gruppe, heute arbeitet sie eng mit der deutschen Botschaft zusammen.

Die Betreuer im Alter zwischen 40 und 50 sind mit viel Engagement im Einsatz und lassen sich durch persönliche Enttäuschungen nicht stoppen. In Bangkok sind es fünf Frauen und Männer, zudem der evangelische und katholische Pfarrer, im Gefängnis Chonburi geht der in Pattaya lebende Rudolf Hofer ein und aus.

„Unsere regelmässigen Besuche sollen den Inhaftierten helfen, ihre schwere Haftzeit zu überstehen und sich nach der Entlassung wieder einzugliedern“, nennt Claudia Boczek-Stone das vordringliche Ziel ihrer ehrenamtlichen Arbeit.

Sie lebt seit 21 Jahren in Thailand und ist mit den Zuständen in Bangkoks überquellenden Knästen vertraut. Die Deutsche leitet seit vielen Jahren ein Kinderheim für in der Haft geborene Thais und besucht mit den Mädchen und Jungen inhaftierte Mütter.

Die Betreuerin sieht bei ihren Besuchen nicht den Straftäter („Ich bin nicht der Richter“), sondern den Häftling als Mensch. Zu ihm gilt es eine Beziehung aufzubauen. Ihr Engagement und Vertrauen gehen so weit, dass sie Gefangenen in ganz dringenden Fällen Geld vorstreckt. Andererseits kann sie mit ihren Gesprächspartner auch sehr streng umgehen: „Sie müssen ihre Grenzen erkennen.“

Die Gespräche finden in sogenannten Botschaftszimmern statt, die für Anwalts- und Konsularbetreuung reserviert sind. Gitter und Maschendraht trennen Betreuer und Häftling in hellbrauner Einheitskluft; meistens ist kein Wärter anwesend. „Unsere Arbeit erfordert Geduld und therapeutisches Einfühlungsvermögen, um einen verlässlichen Kontakt aufzubau- en“, erläutert die Deutsche.

Mit Monika Dettmann betreut sie im Hochsicherheitsgefängnis Bang Kwang fünf Deutsche und zwei Schweizer, darunter ein Mörder und Drogenkriminelle. In Bang Kwang werden nur Schwerverbrecher eingeliefert, Thais und Ausländer, die mindestens 30 Jahre abzusitzen haben. Mehr als 300 Männer sind zum Tode verurteilt und warten auf ihre Hinrichtung. In Thailand heisst das Tod durch Erschiessen.

Einmal in der Woche betreten die beiden Frauen den Knast. In ihren Händen halten sie prall gefüllte Taschen mit Einkäufen, finanziert von „ihren“ Strafgefangenen. Auf dem Wunschzettel stehen neben Briefmarken, Medikamenten, Zeitschriften und Bücher vor allem Lebensmittel: Käse, Schinken, Bauernbrot, Nudeln mit Tomatenmark, Haferflocken, Müsli - gefragt sind deutsche Delikatessen.

Die Gefängnisverpflegung ist minderwertig. Die dreimal täglich ausgeteilte Suppe, zumeist Reis, Wasser und Fischgräten, sieht eher nach Abfällen aus. Es ist ein ungeniessbarer Frass. Da kommen die regelmässigen Besuche der Gruppenmitglieder gerade recht.

Die Gefangenen wissen auch die monatliche Überweisung ihrer Botschaft zu schätzen. Jeder Deutsche erhält 250 Mark Sozialhilfe. Diese Leistung für Personen in besonderen Notlagen wurde in diesem Monat um 50 Mark aufgestockt. Nicht wegen steigender Preise für den Lebensunterhalt, sondern damit sich Häftlinge moderner Technologie bedienen können: Telefonieren mit Karte und Emails per Internet.

Deutsche können über die Sozialhilfe nach eigenem Gutdünken verfügen. Wer nicht süchtig ist - im Knast bieten Mithäftlinge und Wärter Drogen an - kommt mit diesem Geld über die Runde. Er kann sich einen besseren Schlafplatz erkaufen, für Fernseher und Pay-TV sorgen, einen thailändischen Mithäftling als Diener einstellen, der auch für ihn kocht, und bei den Wärtern vi-taminreiches Essen bestellen.

Ausländer haben viele Vergünstigungen: Sie müssen nicht arbeiten (Thais verdienen monatlich 300 Baht); sie dürfen sich auch tagsüber in ihrer Zelle aufhalten, wenn sie für dieses Privileg zahlen; in ihrer Zelle sind weniger Gefangene untergebracht; sie werden von Aufsehern nicht geschlagen und getreten, werden aus disziplina- rischen Gründen nicht draussen bei sengender Mittagssonne an einen Betonpfeiler gekettet; sie entgehen vielen Demütigungen und Schikanen - so lange sie nicht gegen die Gefängnisordnung verstossen. Wärter sind gegenüber Farang nachsichtig und wissen, dass sich Ausländer gleich an ihre Botschaft wenden und sie so Probleme bekommen könnten.

Obwohl die Inhaftierten auf engstem Raum untergebracht sind, leben Ausländer und Thais getrennt. Viele thailändische Mithäftlinge suchen allerdings nach einem Arbeitsverhältnis, denn nur ein solches Einkommen kann ihre Knastzeit erträglicher gestalten.

Haftzeiten von drei Jahrzehnten bis lebenslänglich vor Augen, haben sich Deutsche im Bang Kwang mit ihrem Schicksal eher abgefunden als Zuchthäusler, die in Provinzgefängnissen wenige Jahre abzusitzen haben. Trotz vieler Vorteile und Erleichterungen leiden Ausländer unter den elenden, unmenschlichen Haftbedingungen. Und nur wenige überstehen physisch und psychisch diese Hölle.

Alle wollen „raus, raus, raus“

Alle haben nur ein Ziel. „Raus, raus, raus“ beschreibt Claudia Boczek-Stone den sehnlichsten Wunsch ihrer Gesprächspartner/innen. Sie dämmern in der tropischen Schwüle dahin und hoffen auf eine Amnestie oder Begnadigung durch den König.

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