Ein Jahr Infantino: FIFA-Chef zwischen Reformzwang und Machtwille

Foto: epa/Ennio Leanza
Foto: epa/Ennio Leanza

ZÜRICH (dpa) - Auch die ständigen Schneegraupel-Schauer konnten Gianni Infantino nichts anhaben. Dem FIFA-Präsidenten wich das Lächeln nicht aus dem Gesicht. Denn es war wieder ein großer Tag für ihn. Diego Armando Maradona hatte kurz nach dem Jahreswechsel seine Aufwartung im winterlichen Zürich gemacht. Mit fast zwei Dutzend weiteren ehemaligen Fußball-Größen war der schwergewichtige Argentinier bei einem Show-Kick mit Infantino auf dem Kunstrasen gleich neben der Zentrale des Fußball-Weltverbandes dabei. Enthusiastisch erzählte er danach in alle Mikrofone, welch gute Arbeit der neue FIFA-Boss macht.

Transparenz, Leidenschaft, Freude am Fußball waren die Schlagwörter Maradonas, der wegen seiner Dauereskapaden unter Infantinos im Korruptionssumpf untergegangenem Vorgänger Joseph Blatter noch unerwünschte Person auf dem Zürichberg war. Transparenz, Leidenschaft, Freude am Fußball sind die Schlagwörter, die Infantino auch zu seinem einjährigen Dienstjubiläum am Sonntag proklamiert.

Nach seinem überraschenden Wahlerfolg beim außerordentlichen Wahlkongress am 26. Februar 2016 sieht der jüngste FIFA-Boss der Nachkriegszeit den lange bedenklich taumelnden Weltverband wieder auf Kurs. Seine Presseabteilung verschickte vor dem Jahrestag ein 50 Seiten dickes Hochglanzdokument als Zwischenbilanz ihres Regenten.

Wo Infantino am Sonntag sein wird, konnte man indes bislang noch nicht sagen. Wahrscheinlich auf Tingel-Tour um die Fußball-Welt - in dieser Rolle fühlt sich der polyglotte Topmanager wie sein Vorgänger richtig wohl. «Was mich an den vergangenen Monaten am meisten erfreut hat, ist zu sehen, wie die Ideen, Absichten und Regularien Realität geworden sind im Alltag der Fußball-Administration», wird Infantino in dem Prospekt von seiner Marketingabteilung zitiert.

Als Erfolge werden die in Deutschland weiter umstrittene Aufstockung der WM auf 48 Teams von 2026 an, die Umsetzung der umfassenden Reformagenda mit einer neuen Gewaltenteilung und das von Infantino selbst entworfene Zukunftsprojekt «FIFA 2.0» angeführt. «Das ist ein konkreter Fahrplan mit messbaren Zielen für die FIFA als Organisation», sagte der Schweizer über die avisierte Neuordnung der globalen Fußball-Verwaltung.

Ist die FIFA nach den langen Jahren des Korruptions-Wahnsinns im Funktionärs-Selbstbedienungsladen unter Blatter also wieder auf Kurs? Ist innerhalb von nur zwölf Monaten die Wunderheilung gelungen? Mitnichten - sagen die Kritiker. Jenseits der schönen Schautafeln ist Infantinos Bilanz nach einem Holperstart rund um den Kongress im Mai 2016 in Mexiko inklusive der Inthronisierung der im Fußball-Business völlig unerfahrenen Fatma Samoura als Generalsekretärin keineswegs makellos.

Das Medienecho ist verhalten bis skeptisch. Und FIFA-intern gibt es zahlreiche Stimmen, die hinter vorgehaltenen Händen von einem «Klima der Angst» berichten und Infantino als «Alleinherrscher» und «Macho» beschreiben. Rund 80 der gut 400 FIFA-Mitarbeiter mussten im Zuge des Machtwechsels gehen. Eine übliche Quote bei einem radikalen Neuanfang in einem Top-Unternehmen. Von den Spitzenangestellten blieb nur Marco Villiger als Kopf der Rechtsabteilung.

Abgrenzung zu Blatter bis ins kleinste Detail ist ein Leitmotiv Infantinos. Manche Parallele zu seinem Landsmann kann auch der 46-Jährige nicht kaschieren, auch wenn sein Führungsstil kühler, effizienter, moderner wirkt - aber eben doch auf größtmögliche Machtkontrolle ausgelegt ist. Nicht Samoura prägt - wie in der Reformagenda proklamiert - die Geschäfte, sondern Infantino, dem laut Statuten nur die Rolle eines Aufsichtsratschefs zugedacht ist.

Knackpunkt bleibt, wie Infantino mit seinen Kontrolleuren umgeht. Compliance-Chef Domenico Scala wurde mit einem Kongress-Beschluss in Mexiko so brüskiert, dass er ging. Dessen Nachfolger Tomas Vesel fiel bislang nicht als scharfer Hüter ökonomischer Normen auf und ist zudem mit dem neuen UEFA-Chef Aleksander Ceferin verbandelt, was zumindest ein Geschmäckle hat.

Vesel genehmigte auch einen Flug im Privatjet mit Russlands umstrittenen Funktionär und Politiker Witali Mutko im November zur Auslosung des Confederations Cup von Moskau nach Kasan. «Generell ist es so, dass der Privatjet früher die Regel war - heute sind Privatjets die Ausnahme», verteidigte Samoura ihren Chef.

Insider-Informationen, dass auch die konsequent ermittelnde und urteilende Spitze der Ethikkommission um Cornel Borbely und den deutschen Top-Juristen Hans-Joachim Eckert beim nächsten Kongress im Mai in Bahrain abgelöst und durch willfähriges Personal ersetzt werden könnte, passen ins Bild. Als «Geiseln» der Kontrollgremien soll Infantino intern sich und seine Council-Kollegen beschrieben haben, was er bestreitet.

Dabei könnte der FIFA-Boss den Ethikhütern dankbar sein. Im August wurde gegen ihn trotz erster aus dem kommenden WM-Gastgeberland Russland gesponserter Freiflüge nach langwierigen Beratungen kein Verfahren eröffnet. «Ich stehe zu all meinen Entscheidungen. Natürlich lernt man aus gewissen Entscheidungen, wie man gewisse Dinge besser machen könnte in Zukunft. So funktioniere ich auch im alltäglichen Leben. Es gehört zu meiner Lebensphilosophie», sagte Infantino auf die Frage nach möglichen Fehlern in seinem ersten Amtsjahr.

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