Drei Hundewelpen in Lawinen-Hotel lebend gefunden

Foto: epa/Firemen / Handout
Foto: epa/Firemen / Handout

ROM (dpa) - Fünf Tage nach dem Lawinenunglück in Italiens Erdbebengebiet sind drei Hundewelpen lebend geborgen worden. Sie seien in einem Heizraum des zerstörten Hotels in der Abruzzen-Gemeinde Farindola gefunden worden, es gehe ihnen gut, hieß es am Montag von den Einsatzkräften. Die Hundeeltern «Lupo» und «Nuvola» der Abruzzen-Schäferhunde hatten sich vor der Lawine retten können und waren schon zuvor ins Tal gelaufen. Der Fund der Tiere gab den Rettern neue Hoffnung, doch noch Überlebende unter den Schneemassen und Trümmern zu finden.

Seit dem Lawinenabgang vergangenen Mittwoch werden noch mehr als 20 Menschen vermisst. Elf Menschen überlebten das Unglück, sieben Tote wurden bisher geborgen.

Die gescheiterte Suche nach einer Schneefräse, nicht ernst genommene Hilferufe und Fehleinschätzungen der Behörden: Die Wut nach dem Lawinenunglück in Italien wächst. Das Desaster erzählt auch die Geschichte einer seit langem aufgegebenen Region.

Es ist eine E-Mail, die nichts Gutes erahnen lässt. «Die Lage ist besorgniserregend. Es liegen zwei Meter Schnee (...). Die Gäste können nicht abfahren, nach den Erdbeben sind sie in Angst und bereit, die Nacht im Auto zu schlafen.» Es ist ein Hilferuf aus dem Hotel Rigopiano im Abruzzen-Ort Farindola. Abgeschickt vom Hoteldirektor Bruno Di Tommaso nur Stunden bevor eine Lawine mit dem Gewicht von rund 4.000 beladenen Lastwagen das Gebäude fortriss und
mehr als 30 Menschen unter sich begrub. Der Hilferuf blieb folgenlos.

Elf Menschen konnten zwar gerettet werden - was durchaus als Wunder gelten kann. Aber über die Freude, Lebende in den Tonnen von Schnee und Trümmern zu finden, haben sich Trauer und Wut gelegt. Trauer über die vielen Toten. Und Wut über ein mögliches Versagen der Behörden.

«Die, die gestorben sind, wurden getötet», sagte der Vater eines Vermissten. Die Staatsanwaltschaft in Pescara ermittelt gegen unbekannt. Der Vorwurf lautet mehrfache fahrlässige Tötung.

Reihte sich ein Unglück an das andere - oder ein Versäumnis an das andere? Der viele Schnee, die Erdbebenserie, die unpassierbaren Straßen, die gescheiterte Suche nach einem geeigneten
Schneeräumfahrzeug, Notrufe, die für Falschmeldungen gehalten wurden undsoweiterundsofort.

Erste Frage: Warum wurde das Hotel nicht früher evakuiert? Seit Tagen hatte es geschneit. Bei dem Hotel in 1.200 Metern Höhe lagen um die zwei Meter Schnee. Das Gebäude lag unterhalb eines steilen Abhangs. «Dieser kammnahe Hang ist steil genug und lang genug, dass eine Lawine Fahrt aufnimmt, durch den Wald saust und bis zum Hotel vordringt», sagte Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein. «So etwas wäre in den Alpen vermutlich beim Bau des Hotels ins Kalkül gezogen worden, weil dort gewöhnlich viel Schnee fällt. Es ist aber schwer zu übertragen, weil bei uns andere Wetterbedingungen herrschen.»

An jenem Tag galt zudem Lawinenwarnstufe 4 (von 5). Das bedeutet, dass eine Lawine schon bei geringer Zusatzbelastung an Steilhängen wahrscheinlich ist. Hätten da nicht schon die Alarmglocken schrillen müssen? Und stimmt es, dass der Bürgermeister von Farindola nichts von der Anhebung der Lawinenwarnstufe wusste und somit nicht im Besitz der nötigen Informationen war, um eine mögliche Evakuierung veranlassen zu können?

Zweitens: Wie konnte es sein, dass stundenlang ein Räumfahrzeug gesucht wurde, um die Straße zum Hotel freizuschaufeln? Die Behörden wurden schon am Mittwochfrüh - noch vor den Erdbeben - informiert, dass das isolierte Hotel in Schwierigkeiten sei. Eine Schneefräse sei kaputt gewesen, berichteten italienische Medien. Eine andere Fräse offenbar ganz in der Nähe, doch niemand schien das zu wissen. Wäre das Räumfahrzeug früher angekommen, hätten die Menschen das Hotel
vielleicht noch rechtzeitig verlassen können.

Drittens: Wurden Notrufe ignoriert? Der Überlebende Giampiero Parete, dessen Frau und zwei Kinder mehr als 40 Stunden später aus dem Hotel gerettet wurden, war zum Zeitpunkt der Lawine draußen. Er erzählte später, er habe einen Notruf abgesetzt, aber niemand habe ihm geglaubt. Ein anderer Zeuge sagte, er sei mit dem Notruf abgeblitzt. Angeblich wusste der Hoteldirektor, der zum Zeitpunkt des Unglücks nicht vor Ort war, auf Nachfrage der Präfektur nichts von einer
Lawine. Möglicherweise verzögerte sich deshalb die Rettungsaktion.

Die Anschuldigungen und Spekulationen überschlagen sich. Regierungschef Paolo Gentiloni warnte davor, voreilig nach einem Sündenbock zu suchen. Alpenvereins-Experte Bucher sagte, es habe sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt. «Lawinenunglücke wie das von Italien sind Ausnahmeereignisse, die nicht vollständig zu verhindern sind.» Beispiel dafür sei die Lawinen-Katastrophe von Galtür in Österreich, bei der 38 Menschen ums Leben kamen. Auch damals im Jahr 1999 wurden Vorwürfe an die Behörden laut, die Lawinengefahr unterschätzt zu haben. Alle Ermittlungen wurden jedoch eingestellt.

Das Unglück von Farindola wirft nun erneut ein Schlaglicht auf eine Region, die seit dem schweren Erdbeben von L'Aquila im Jahr 2009 nicht mehr auf die Beine kommt. Damals kamen mehr als 300 Menschen ums Leben, die Wirtschaft liegt am Boden, viele Orte sind verlassen.

Die Tragödie sei nur die Spitze eines Eisberges, sagte Lorenzo Sospiri, Regionalrat der Abruzzen. Er forderte die Verantwortlichen in der Präfektur und der Provinz auf, zurückzutreten. «In einem
zivilen Land kann es nicht so zugehen, es kann nicht sein, dass unschuldige Bürger wegen einer verschneiten Straße sterben und nichts passiert.»

Das Einzige, was die Menschen in den Abruzzen noch hatten, war die Landwirtschaft und der Tourismus. Doch zum Skifahren und Schneewandern wird in die Gegend um den Gran Sasso wohl so schnell kaum noch jemand fahren.

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