Die Zeitenwende

 Foto: Orlando Bellini / Fotolia.com
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2016 wird den Menschen im Gedächtnis bleiben. Drei wegweisende Entscheidungen in der westlichen Welt, die in diesem Jahr getroffen wurden, sollen im Folgenden etwas genauer betrachtet werden:

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht im Juni entschieden, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsanleihen überschuldeter Mitgliedsstaaten aufkaufen darf. Der Senat hat seine eigenen Bedenken zurückgestellt und den EZB-Beschluss des Jahres 2012 – notfalls unbegrenzt Staatsanleihen überschuldeter Mitgliedsstaaten aufzukaufen – für verfassungskonform erklärt, da der Europäische Gerichtshof begrenzende Auflagen bestimmt hat. Herr Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts meinte nach der Urteilsverkündung: „die europäische Rechtsgemeinschaft sei aus diesem Verfahren gestärkt hervorgegangen“. Ob er Recht behält, muss bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass gerade nach dem Austritt der Briten aus der EU über kurz oder lang tatsächlich Staatsanleihen überschuldeter Staaten in bedeutendem Umfang aufgekauft werden und das Bundesverfassungsgericht in den Augen der deutschen Bevölkerung als Gralshüter nationaler Interessen an Ansehen verliert. Wenn es schlecht läuft, wächst das Vertrauen der Bevölkerung in die europäische Gerichtsbarkeit nicht, während gleichzeitig das Vertrauen in das eigene Verfassungsgericht sinkt. Klüger wäre es vielleicht gewesen, der eigenen Auffassung zu folgen und den EZB-Beschluss zu kippen. Dies hätte Veränderungen im deutschen Interesse erzwungen, das Vertrauen in das eigene Verfassungsgericht gestärkt und langfristig den Boden für die Akzeptanz einer europäischen Gerichtsbarkeit geebnet.

Ebenfalls im Juni haben die Briten mehrheitlich entschieden, die Europäische Union zu verlassen. An der Oberfläche schien es hauptsächlich um Migration und Einwanderung in den Sozialstaat zu gehen. Diese Analyse greift allerdings zu kurz. Der eigentliche und viel besorgniserregendere Grund ist das sinkende Vertrauen der Menschen in die Problemlösungsfähigkeiten der EU. Ein schnell wachsender Teil der Bevölkerung erkennt, dass EU und nationale Regierungen Probleme lediglich kurzfristig mit Geld zuschütten, aber keine Lösungen für die zentralen Herausforderungen unserer Zeit entwickeln und die Probleme damit letztendlich nur in die Zukunft vertagen. Mit Spannung darf nun beobachtet werden, ob die verantwortlichen Politiker in Großbritannien und EU die Zeichen der Zeit erkennen und konstruktiv reagieren und das europäische Schiff wieder auf einen zielführenden Kurs bringen, oder ob versucht wird, die Entscheidung der Briten über die Hintertüre zu relativieren und auszuhöhlen. Letzteres ist leider die wahrscheinlichere Alternative. Für Deutschland und Österreich besteht in jedem Falle Handlungsbedarf, denn durch den Austritt der Briten verschieben sich die Gewichte innerhalb der EU dramatisch zu Gunsten der chronisch notleidenden Staaten im Süden der Union. Sollte die Politik diese Tatsache ignorieren und sich der Geschwindigkeit auf dem Weg in die Umverteilungsunion noch erhöhen, ist das Ende der Akzeptanz in der Bevölkerung für diesen Weg abzusehen.

Drittens: Im November 2016 haben die US-Amerikaner Donald Trump zum Präsidenten gewählt, und zwar gegen den Wunsch ihrer Eliten, gegen die Interessen der Wall Street und gegen weite Teile der meinungsbildenden Presse, wie etwa der „New York Times“. Für Europa ist diese Entscheidung auch deshalb interessant, da sich wesentliche Entwicklungen in der westlichen Welt häufig zuerst in den Vereinigten Staaten zeigen. In diesem Fall ist es die absolute Unzufriedenheit der breiten Masse mit der politischen Führung des Landes, die das Wohlergehen des Durchschnittswählers völlig aus den Augen verloren zu haben scheint. Sorgen und Ängste der Menschen mit Blick auf zunehmende Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen in der Bevölkerung sowie blanke Exis­tenzängste hinsichtlich immer mehr Handelsabkommen, die Jobverluste für den sogenannten kleinen Mann bedeuten, seien nur als Beispiele genannt.

Der Westen ist gut beraten, diese Herausforderungen ernst zu nehmen. Global werden sich die Gewichte im 21. Jahrhundert ohnehin nach Osten verschieben. Ein Prozess der bereits in vollem Gange ist und von Jahr zu Jahr sichtbarer wird. Der Westen wird wahrscheinlich an Einfluss verlieren, wo und wie sich Europa positionieren kann, steht noch völlig in den Sternen. Wahrscheinlich wäre es allerdings eine gute Idee, die Karten neu zu mischen und noch einmal ganz neu aufzusetzen.


Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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