Nein, ich werde mich nicht davon abhalten lassen, meine Meinung kund zu tun, schon gar nicht von einigen verbohrten Farangs, die hier ein schönes Leben führen und offensichtlich der Ansicht sind, das Asylanten-Thema in Europa sei für Thailand nicht aktuell und der Kolumnist nicht berechtigt, sich dazu zu äußern.
Noch reden wir hier von Millionen Menschen aus Vorderasien und Afrika, die alles was sie besaßen, auch ihre alten Eltern und kranken Angehörigen zurücklassen mussten, um unter Lebensgefahr irgendwohin zu kommen, wo sie hoffen sicher zu sein. Tausende haben auf dem schweren Weg nach Europa, auf dieser Flucht vor Krieg und Hunger ihr Leben verloren, ertrunken, erstickt, von Schleppern ausgenommen, eingesperrt oder irgendwo ausgesetzt, ohne Wasser, ohne Nahrung. Und wer es denn endlich schafft, in das „Paradies“ Deutschland zu kommen, der erlebt freundliche Menschen, die zu helfen versuchen, wo sie können, aber häufig auch den Hass derer, denen nichts fehlt als der Verstand, die schon über 300 Anschläge gegen Asylantenunterkünfte verübt haben, von denen etliche in Flammen aufgingen. Nein, mit diesen Typen will ich nichts gemein haben. Sie sind die Nachgeborenen der Nazis, eine Schande für Deutschland. Und wenn sie noch so schreien und pöbeln: Sie sind nicht das Deutschland von heute. Sie sind von gestern und vorgestern, auch wenn sie sonntags brav in die Kirche gehen und beten „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Dabei meinen sie doch nur ihren Nachbarn, der im Urlaub ihre Blumen gießt.
Das neue Deutschland, die Mehrheit der Deutschen, hat aus der Vergangenheit gelernt. Nach dem letzten Krieg haben Hunderttausende Flüchtlinge im Westen Aufnahme gefunden und entscheidend zum sogenannten Wiederaufbau und Wirtschaftswunder beigetragen. Das galt ebenso für die Türken und Italiener, die hier Arbeit suchten und fanden. Und nach dem Mauerfall war es nicht anders. Sie alle wurden integriert, und heute sucht die Industrie händeringend nach zusätzlichen Arbeitskräften. Wo ist das Problem? Fürchtet Oma um ihr Eigenheim, der Sohn um seine Rente, die Tochter um Hartz 4 oder der nichtsnutzige Enkel um sein Erbe? Natürlich ist eine diffuse Angst dabei im Spiel, Angst vor dem Fremden, vor der Veränderung. Aber Veränderungen hat es immer gegeben, wird es immer geben. Sie gehören zu unserem Leben. Und warum haben jene Leute, die vor der Verarmung Deutschlands warnen, nicht gegen die Milliarden teuren Rüstungsausgaben protestiert. Mit dem Geld könnten wir spielend Millionen Asylanten aufnehmen. Aber auch ohne diese Maßnahme gibt der deutsche Finanzminister sich – selbst angesichts der zu erwartenden Flüchtlingsströme - optimistisch.
Es hilft nichts, die Augen vor der Realität zu verschließen. Kriegsflüchtlinge haben nach unserem Gesetz ein Anrecht darauf, hier aufgenommen zu werden, und deshalb frage ich mich, warum wir diesen Menschen die lebensgefährliche Flucht mit Schleppern und übers Meer zumuten. Wir könnten sie doch einfach abholen, auch wenn man ihnen in ihrer Heimat die nötigen Papiere verweigert. Kein Schlepper verdiente mehr an ihnen, keiner müsste mehr im Mittelmeer ertrinken, und alle würden hier Aufnahme finden. Ja, ich höre schon das Geschrei der Ignoranten, aber ich habe nur die Gesetzeslage beschrieben.
In Deutschland rechnet man in diesem Jahr mit 800.000 bis zu einer Million Flüchtlinge. Darunter sind natürlich auch Armutsflüchtlinge, die nicht den Status der aus Kriegsländern geflüchteten Menschen haben. Sie müssen mit ihrer Abschiebung rechnen. Aber eines kann ich allen Lesern dieser Zeilen versichern: Bevor ich mit meiner Familie in Bulgarien oder einem Nachbarland am Verhungern wäre, hätte ich mich auch auf die Flucht gemacht, um irgendwo Aufnahme und Arbeit zu finden, die mir und meinen Angehörigen das Überleben gesichert hätte.
Wir sind hier in Thailand immer noch weit weg von Deutschland und anderen europäischen Ländern, die vor ähnlichen Problemen stehen. Aber gibt es denn irgendeinen vernünftigen Menschen, der glaubt, dieses Problem bleibt auf Europa beschränkt? Wir leben in einer globalen Welt, wo jedermann jederzeit in wenigen Stunden jeden Ort der Welt erreichen kann. Wer kann vorhersagen, ob nicht plötzlich verarmte Laoten über Thailand herfallen, Afghanen, Pakistaner oder Uiguren massenweise über die Grenzen kommen und hier um Aufnahme bitten? Auch das Problem mit den Rohingyas ist noch lange nicht ausgestanden. Und wie ist man hier mit diesen Menschen umgegangen, die zum Teil schon seit Generationen in diesem Land gelebt haben, ohne je eine Urkunde, geschweige denn einen Pass erhalten zu haben? Ein paar Säcke Reis, ein paar Flaschen Wasser und dann ab mit ihnen. Nein, darauf kann kein Thailänder stolz sein. Ich frage mich, was sie tun werden, wenn eines Tages eine Einwanderungswelle wie in Europa über sie hereinbricht? Wird es dann eine buddhistische Willkommenskultur geben, Tambun für die Fremden, die Armen, die Hungernden? Oder werden sie die Grenzen dicht machen, die Anstürmenden mit Tränengas und Waffen zurück jagen oder aufs Meer hinaus?
Noch haben wir in vielen Ländern Europas tolerante Gesetze, die darüber entscheiden, wer bleiben darf und wer wieder heimgeschickt wird. Aber diese Gesetze müssen reformiert, den neuen Umständen angepasst werden und – auch daran kann kein Zweifel bestehen – sie müssen für alle Euroländer gleichermaßen gelten, der Einwohnerzahl der jeweiligen Länder und ihrer Wirtschaftskraft angemessen. Sollte das nicht zu erreichen sein, wäre Europa schon bei seiner ersten schweren Bewährungsprobe gescheitert. Angesichts einer in Zukunft nicht mehr auszuschließenden weltweiten Völkerwanderung wird man irgendwann wohl auch nicht umhin kommen, globale Standards einzuführen. Denn eines dürfen wir nie vergessen: Jeder Mensch auf dieser Welt hat ein Recht auf Leben, auf ein Leben in Würde. Das schließt Nahrung, Unterkunft, medizinische Hilfe und Bildungsmöglichkeiten ein. Wer diesen Menschen das bewusst vorenthält, hat vergessen, dass er seinen bevorzugten Status seiner zufälligen Geburt in einem zivilisierten Sozialstaat verdankt.
Ich fürchte jedoch, man wird auch weiterhin sinnlose Grenzzäune errichten, Mauern bauen und damit scheitern wie die ehemalige DDR. Denn die Verzweifelten, die um ihr Leben kämpfen, werden immer und immer wieder versuchen sich zu retten.
Die Gebrüder Grimm legten in ihrem Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“ dem weisen Esel den Satz in den Mund: „Etwas Besseres als den Tod werdet ihr überall finden“.
Millionen Menschen hoffen darauf.
Leserkommentare
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