Die spitze Feder ist glatter geworden

Die spitze Feder ist glatter geworden

Eine weiter Leserzuschrift an unseren Kolumnisten C.-F. zur Kolumne „Der Tanz geht weiter“ (FA01/2016):

Sehr geehrter Herr C.F., ich lese sehr gerne, die mit Ihrer spitzen Feder geschriebenen Feuilletons, bedauere aber, dass Ihre Feder glatter geworden ist. Ich will mich jedoch, zuerst mal vorstellen: ich bin die Minderheit.

Meine Identität beruht auf meiner Erfahrung, die ich von meinem eigenen Verhalten, der eigenen Sozialisation und der Diskussion mit meinen Mitbürgern. Also fang ich mal mit der Nationalität an. Ich bin ein ehrlich wütend aufbrausender Deutscher, wenn Leute in meiner Umgebung, pauschale Urteile über die Deutschen abgeben bzw. die heutigen Deutschen, mit der Hitlervergangenheit, in Verbindung bringen. In solchen Fällen bin ich stolz auf die Demokratie, meine Mitmenschen in Deutschland und die ganze Bundesrepublik Deutschland. Ich bin stolz auf das Vorbild, dass wir manchmal gegenüber der Welt erbringen. Ich bin froh über die hohe und die kleine Kultur, zu der auch die Sitte des Biergartens an der Windmühle gehört. In dieser Umgebung, ob in Deutschland oder auch in Thailand, kann ich mich richtig zu Hause fühlen.

In dem Moment jedoch, wenn jemand in meiner Anwesenheit Pauschalurteile über die Türken abgibt, dann bin ich ein Türke. Denn ich weiß, dass man kein Volk in einen Sack bringen sollte, um ihm danach Eigenschaften zuschreiben. Wir wollen doch nicht wegen unserer Volkszugehörigkeit in einen Sack mit den Nazis geworfen werden, also tun wir das auch nicht den Anderen an. Wenn sich jemand auf eine solche Weise, über die Araber äußert, dann werte ich das auch als unverschämt und dumm. Ich bin dann einer der 145 Millionen Araber. Noch dümmer ist es, wenn jemand Pauschalurteile über die Inder äußert. Bedenke mal, dass es 30 Mal mehr Inder gibt, als alle Einwohner Deutschlands. Zeugt es nicht von Dummheit, einer Nation besondere Eigenschaften zuzuschreiben?

Wenn sich jemand böse und pauschal über die Flüchtlinge äußert, dann bin ich ein Flüchtling. Ich habe zu genüge erfahren, was es bedeutet fliehen zu müssen. Die Haare stehen mir zu Berge, wenn ich mich an diese gefährliche Wanderung, über streng bewachte Grenzen, ohne einen gültigen Pass, durch Tschechen, Slowakei, Ungarn, Jugoslawien, Italien und Österreich erinnere. Ich hätte es niemals in Kauf genommen, wenn ich nicht vor der Haft mit Folter, habe fliehen müssen. Ich kann mich über die Herabsetzung meiner Würde, die Anfeindungen und Diskriminierungen, während der Flucht und im Flüchtlingslager erinnern. So gut erinnere ich mich daran, dass ich mich mit den Flüchtlingen besser identifizieren kann, als mit den Wohlstandsbürgern, die einen Hass gegen diese Fremden und die Politiker, die ihnen Zuflucht bieten, hegen. Genauso wiederstrebt mir der Hass gegen die Juden, Albaner, Algerier, Zigeuner, Rumänen und Andere. Ich fühle mich direkt auf die Füße getreten, wenn gegen irgendwelche Gruppen von Homosexuellen, Lesben oder anderen Abweichungen von der „Norm“ geschimpft wird. Ich sage dann laut meine Meinung. In solchen Fällen bin ich immer in der Minderheit, denn all die Maulaufreißer, die sich abfällig über Andere äußern, würden dies nicht tun, wenn sie gegenüber den Beschimpften in der Minderheit währen. Dazu fehlt ihnen der Mut. Ich jedoch, erlaube es mir, diesen Beschimpften eine Stimme zu verleihen.

Ist das genug? So sieht meine Visitenkarte aus!

Jetzt zur Sache. Sie äußern in der Ausgabe FA01/2016 unter dem Titel „Der Tanz geht weiter“, eine Meinung, die das Bürgertum in Deutschland, in seiner Mehrheit, selbst propagiert. Sie wettern gegen den Kapitalismus, ohne eine Ahnung über das Gebiet zu haben, über das sie schreiben. Sie ahmen es einfach nach und machen sich modern. Ihnen ist es natürlich nicht ausgefallen, dass nicht der von Ihren Meinungsgebern geschmähte Kapitalismus, sondern das Verhalten des Staates bewirkt, dass die Einkommensschere immer mehr auseinander klafft. Sie kritisieren das natürliche Verhalten der weniger Bemittelten, dass sie sich bemühen, so billig, wie möglich, Lebensmittel einzukaufen. Der Wein ihrer Meinungsmacher ist aber besonders gesund, und ökologisch so einwandfrei, wie die ökogeprüften Lebensmittel die unsere moderne Mittelschicht einkauft. Da Sie bestimmt so, wie die Mehrheit der heutigen Meinungsmacher auch, Genmanipulationen an Lebensmitteln ablehnen, können Sie uns keine Methode anbieten, die uns die 7,6 Milliarden Menschen das Ernähren sichern könnte.

Sie und Ihre Meinungsvordenker kritisieren die Schulmedizin, ohne eine Ahnung in dieser Materie zu besitzen. Die Ausbildung zum Arzt dauert ja zu lange, um sich als Kritiker in die Materie zu vertiefen. Ihr seid aber natürlich gut versichert. Am besten privatversichert und das nicht, um Hausmütterchens Mittel zu kaufen und nicht, um die naturbelassenen Arzneimittel bei ernsten Erkrankungen, anzuwenden, aber um sich im Falle der Fälle ins Krankenhaus zu begeben, das nur die Schulmedizin praktiziert.

Gemäß Ihrem hier behandelten Artikel, sollte es eine weltumfassende Wende geben, um das von Ihnen vertretene Model einzuführen und zu praktizieren. Wollen sie wirklich eine Weltdiktatur, die uns Menschen nicht nur lenken, aber darüber hinaus noch umerziehen sollte? Nein, das spricht man ja nicht aus! Jedenfalls nicht in klaren Worten. Es ist für die modernen Sattbürger besser zu kritisieren und auf keinen Fall fundierte Ratschläge zu geben.

Schade, dass Ihre Feder diesmal nicht so spitz war, wie ich sie mag. Gänse gibt es hier zu genüge und ein scharfes Taschenmesser kann ich Ihnen gern zum Zuspitzen leihen.

Peter U.

Die im Magazin veröffentlichten Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. DER FARANG behält sich darüber hinaus Sinn wahrende Kürzungen vor. Es werden nur Leserbriefe mit Namensnennung veröffentlicht!

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