Die Selbstverteidigungsministerin

Foto: epa/Clemens Bilan
Foto: epa/Clemens Bilan

BERLIN (dpa) - Ursula von der Leyen muss in diesen Tagen viel über ihre Zukunft reden. Auch wenn die Bundestagswahl noch ein paar Monate hin ist, fragen sie Journalisten immer wieder nach ihren persönlichen Plänen in der Politik. «Ich würde gerne weiterhin Verteidigungsministerin bleiben», sagt die 58-Jährige dann. Sie knipst dabei tapfer ihr bekanntes Allwetter-Lächeln an. Dass sie das ernst meint, nehmen ihr derzeit einige nicht ab. Schließlich hat die oberste Befehlshaberin die härtesten Tage ihrer Amtszeit hinter sich.

Genau fünf Monate ist es her, da dringen widerliche Berichte aus einer Kaserne in der baden-württembergischen Provinz an die Öffentlichkeit. In Pfullendorf sollen sich Soldaten mit sexuell-sadistischen Praktiken und Gewaltritualen die Zeit vertrieben haben. Darauf folgen immer neue Berichte über Missstände und Entgleisungen in der Truppe: Sexuelle Belästigung bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall. Erniedrigungen in Sondershausen.

Bedauerliche Einzelfälle, heißt es lange aus dem Verteidigungsministerium. Bis der bis zur Unfassbarkeit kuriose Fall des Franco A. Schlagzeilen macht: Ein rechtsextremer Oberleutnant, der sich als Flüchtling ausgibt und mit seinen rechten Kameraden wohl einen Terroranschlag plant - und die Bundeswehr, die ihn trotz einer rassistischen Masterarbeit als Soldat gewähren lässt.

Von der Leyen macht nun das große Fass auf, gibt sich als schonungslose Aufklärerin. Sie fliegt mit der versammelten Hauptstadtpresse in die Kaserne von Franco A. ins französische Illkirch. Sie bestellt 100 Generäle und Admirale ins Ministerium ein. Sie lässt alle Kasernen nach Andenken an die Wehrmacht durchsuchen, stellt das Traditionsverständnis der Truppe auf den Prüfstand und will die Wehrdisziplinarordnung überarbeiten. Von der Leyen will die Ereignisse vorantreiben, um nicht selbst zur Getriebenen zu werden.

Wo steht die Truppe nun, fünf Monate nach Pfullendorf? Die Staatsanwaltschaft hat einen Teil der Vorwürfe entkräftet, die von der Leyen damals, am Tag 1 des Skandals, als «abstoßend und widerwärtig» bezeichnet hatte. Die Sachlage sei verkürzt dargestellt worden, es gebe keine Hinweise auf Straftaten in der Sanitäterausbildung, so die Strafverfolger.

In den Kasernen wurden mehr als 400 Gegenstände gefunden, darunter Wehrmachtsandenken, aber auch viel harmloser Militärkitsch, Modellbausätze oder ein Säbel aus Napoleons Zeiten. Ein Bild von Altkanzler Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform, dessen Entfernen ebenfalls Empörung auslöste, hängt längst wieder in der Bundeswehr-Uni in Hamburg an der Wand.

Also alles heiße Luft? Nein. Das Bewusstsein in der Truppe für Übergriffe und Verfehlungen ist gestiegen. Rechte Sprüche, wüste Beschimpfungen und sexuelle Nötigungen werden nun häufiger gemeldet, das belegen die Zahlen. Soldaten setzen sich auseinander mit ihren Traditionen und der Fehlerkultur.

Es geht nun nicht mehr um die Skandale an sich, sondern um das Krisenmanagement der Ministerin. Von der Leyen steht nun unter Beschuss: Viele Soldaten nehmen ihr immer noch übel, dass sie der Bundeswehr vor einem Millionenpublikum ein «Haltungsproblem» und «Führungsschwäche» attestierte - obwohl sie sich wiederholt dafür entschuldigte wie wohl keiner ihrer Vorgänger.

Nicht nur politische Gegner, sondern vor allem Soldaten werfen ihr vor, Sachverhalte falsch dargestellt zu haben, Vorgänge aufgebauscht und sich auf Kosten der Truppe selbst inszeniert zu haben. Sie beklagen hinter vorgehaltener Hand etwa die Informationspolitik der Ministerin - zum Beispiel, dass der Heeres-Chefausbilder Walter Spindler aus den Medien erfahren musste, dass er seinen Posten wegen der Skandale räumen muss.

Sie, die die Truppe moderner und attraktiver machen wollte, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst fördern, die 41-Stunden-Woche und sexuelle Vielfalt wollte, sie fremdelte seit jeher mit der Welt von Waffen und Wehrdienst. Aus dieser Distanz hat sich eine handfeste Vertrauenskrise entwickelt.

Beim Jahresempfang des Wehrbeauftragten im Reichstag vergangene Woche watschte André Wüstner, Chef des Bundeswehrverbands, die Ministerin in ihrem Beisein öffentlich ab. Er beklagte vor der versammelten Militärelite des Landes einen Imageschaden der Truppe und einen Vertrauensverlust der Soldaten. «Ich vergleiche das mit einer Art Moorbrand, was wir da aktuell erleben. Das dürfen wir zusammen nicht zulassen.» Es klang nicht wie ein Appell, eher wie eine Kampfansage.

Von der Leyen stand daneben und musste die Worte über sich ergehen lassen. In solchen Momenten ist es schwer zu glauben, dass sie die Truppe weiter führen, dieses Amt mit vollem Tatendrang weiter ausüben will. Aber es ist Wahlkampf, und was soll sie schon antworten auf die Frage nach ihrer Zukunft. Dass Wahlkampf ist, merkt man übrigens auch daran, wie hart die SPD von der Leyen derzeit angeht. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold giftete erst vor wenigen Tagen: «Wenn sie im Moment sagt, sie würde das Amt gerne weiter ausüben, empfinden die Soldaten das inzwischen als Drohung.»

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