Entwicklung und Ausrichtung der AfD

Foto: epa/Focke Strangmann
Foto: epa/Focke Strangmann

BERLIN (dpa) - Eine Parteivorsitzende, die vor laufender Kamera die Brocken hinwirft. Eine fast unbekannte Frau, die mit stramm rechten Parolen um ein Haar Parteichefin wird. 2017 war für die AfD ein schwieriges, ein turbulentes, aber auch ein erfolgreiches Jahr. Der rechtsnationale AfD-Flügel hat an Macht hinzugewonnen. Die fünf Spitzenplätze im Parteivorstand besetzen seit dem Parteitag in Hannover ausschließlich Männer jenseits der 50. Das passt: Bei der Bundestagswahl geben 16 Prozent der Männer, aber nur 9 Prozent der Frauen, ihre Stimme der AfD.

Für den ersten Eklat des Jahres sorgt im Januar der Thüringer AfD-Landeschef und ehemalige Geschichtslehrer Björn Höcke. In Dresden hält Höcke eine Rede, in der er den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte kritisiert und eine «erinnerungspolitische Wende um 180 Grad» fordert. Unter dem Jubel seiner Anhänger und zum Ärger der damaligen Parteichefin Frauke Petry erklärt Höcke, die AfD müsse den Weg einer «fundamentaloppositionellen Bewegungspartei» gehen.

In der Folge verliert die AfD nach Angaben aus Parteikreisen etliche Mitglieder. Im Februar beschließt der Parteivorstand, Höcke aus der AfD auszuschließen. Der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen, Paul Hampel und Partei-Vize Alexander Gauland stimmen dagegen. Das Parteiausschlussverfahren zieht sich hin. Im Januar 2018 wird die Entscheidung des Thüringer Landesschiedsgerichts erwartet.

Die nächste Zäsur ist der Bundesparteitag in Köln im April. Es ist der Moment, in dem Petry merkt, dass das nicht mehr ihre Partei ist. Die Delegierten weigern sich, über ihren «Zukunftsantrag» zu diskutieren, mit dem sie die AfD auf einen «realpolitischen Kurs» festlegen wollte. Gauland holt sich die junge Alice Weidel an seine Seite. Mit ihr zusammen führt er die AfD in den Bundestagswahlkampf.

Am 24. September hat die AfD ihr selbstgestecktes Ziel erreicht. Sie zieht mit einem zweistelligen Ergebnis als drittstärkste Kraft in den Bundestag ein. Bei der Wahlparty in einer Berliner Diskothek formuliert Gauland eine Kampfansage an die künftige Bundesregierung: «Sie kann sich warm anziehen. Wir werden sie jagen.» Und: «Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.»

Am nächsten Morgen sitzen Gauland, Weidel, Meuthen und Petry bei einer Pressekonferenz in Berlin nebeneinander auf dem Podium. Darüber, dass Petry nach der Wahl eine eigene Partei gründen wolle, war in den Monaten zuvor zwar schon viel spekuliert worden. Trotzdem lässt das, was jetzt kommt, alle Anwesenden staunen. Petry erklärt, «dass ich der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht angehören werde». Dann verlässt sie den Saal.

Was hat Meuthen damals gedacht, als Petry plötzlich aufstand? Rückblickend sagt er: «Ich war überrascht und gleichzeitig amüsiert, weil ich wusste, jetzt zieht sie sich selbst den Stecker.»

Später gründet Petry gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem früheren AfD-Landtagsfraktionschef in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell, das Bürgerforum «Blaue Wende». Im Bundestag sitzt Petry heute als fraktionslose Abgeordnete hinter der AfD, gemeinsam mit Mario Mieruch, der die AfD-Fraktion Anfang Oktober verlassen hat.

«Als ich gesehen habe, wie die 92 AfD-Abgeordneten in den Plenarsaal gekommen sind, da war ich schon gerührt», sagt AfD-Chef Meuthen. Er hat die konstituierende Sitzung des Bundestags am 24. Oktober von der Besuchertribüne aus miterlebt.

Die AfD-Bundestagsfraktion arbeitet unter Gauland und Weidel bisher relativ still vor sich hin. Das liegt einerseits daran, dass sie in den ersten Wochen noch ziemlich mit sich selbst beschäftigt ist. Da müssen Räume verteilt, Mitarbeiter eingestellt und Listen mit potenziellen Ausschussmitgliedern abgeglichen werden. Doch auch die Tatsache, dass es noch keine neue Regierung gibt, die Gauland «jagen» kann, hemmt den Tatendrang der Fraktion etwas. Kopfschütteln und Empörung erntet die AfD-Fraktion im November mit ihrer Forderung, die geschäftsführende Regierung solle eine Vereinbarung mit Syriens Machthaber Baschar al-Assad schließen, um eine Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat vorzubereiten.

Beim Bundesparteitag Anfang Dezember in Hannover zeigt sich, dass der rechtsnationale Fügel um Höcke an Macht hinzugewonnen hat. Der bislang einzige Flügel-Mann im Parteivorstand, Beisitzer André Poggenburg, wird zwar nicht wiedergewählt. Dafür setzen sich mit Andreas Kalbitz aus Brandenburg und Frank Pasemann aus Sachsen-Anhalt diesmal gleich zwei «Flügel»-Leute durch. Meuthen und Gauland werden Parteivorsitzende. Beide sind Höcke wohlgesonnen.

Auch Doris von Sayn-Wittgenstein, die erst seit 2016 AfD-Mitglied ist, hält große Stücke auf Höcke. Die AfD-Landeschefin aus Schleswig-Holstein ist vielen Parteitagsdelegierten unbekannt. In der Kieler Landtagsfraktion ist sie umstritten. Trotzdem gelingt es ihr, mit einer schwungvollen Rede zu verhindern, dass der gemäßigte Berliner Landeschef Georg Pazderski zweiter Vorsitzender wird. Während Pazderski sagt, die AfD müsse bereit sein, «in absehbarer Zeit politische Verantwortung zu übernehmen», erklärt die blonde Überraschungskandidatin aus dem Norden: «Ich möchte nicht, dass wir in dieser sogenannten Gesellschaft ankommen. Das ist nicht unsere Gesellschaft. Da werden wir ausgegrenzt.»

Am Schluss wird Pazderski nur Vize. Gauland lässt sich zum Parteichef wählen. Der 76-Jährige ist schon seit 2015 ein wichtiger Strippenzieher. Jetzt ist er als Partei- und Fraktionschef auch formal der mächtigste Mann der Partei.

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Jürgen Franke 16.12.17 22:50
Die Abgeordneten der AfD haben bisher
in ihren Reden gezeigt, dass sie im politischen Leben, trotz aller Anfangsschwierigkeiten die nicht zu vermeiden waren, angekommen sind. Da es zu keinen Neuwahlen kommen wird, wird die AfD auch zukünftig für mehr Stimmung im parlamentarischen Leben sorgen.