Merkel - Schulz und die spannenden Fragen

 Foto: Orlando Bellini / Fotolia.com
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Am ersten Sonntag im September fand das einzige Fernsehduell vor der Bundestagswahl 2017 zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, und ihrem Herausforderer Martin Schulz von der SPD statt. Im Wesentlichen waren sich die Kandidaten bei allen Punkten einig, kleinere Unterschiede konnten nur auf Nachfrage herausgearbeitet werden.

Eine Politikalternative war kaum wahrnehmbar, Der Zuschauer hatte eher das Gefühl, es sei praktisch egal, ob die nächste große Koalition von Merkel oder Schulz angeführt wird. Zwei Drittel der Zeit wurde - meist mit Blick auf die Vergangenheit - über Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik sowie über Muslime gesprochen. Globalisierung, Digitalisierung und Bildungspolitik blieben auf der Strecke, dafür wurden einige Minuten Sendezeit erneut auf die Autobahnmaut verwendet, bis einer der Moderatoren den Herausforderer mit der Frage stoppte, ob er das Thema für wichtig halten würde.

Den meisten Menschen in Deutschland geht es gut, man könnte folglich zur Tagesordnung übergehen, wären da nicht diverse Anzeichen, die auf größere Herausforderungen in näherer Zukunft deuteten: Beispiel Automobilindustrie: An der diesjährigen Internationalen Automobilausstellung IAA nahmen weder Mitsubishi, Nissan, Fiat noch Peugeot teil. Volvo und Tesla verfolgen ohnehin eine andere Agenda und bleiben Frankfurt aus diesem Grunde fern. Seit Volvo seit 2010 in chinesischer Hand ist, legt das Unternehmen eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte hin. Vergessen sind die Tage als chinesische Hersteller bei Crash Tests und Verarbeitung nicht punkten konnten. Gefertigt wird in China und Schweden, ab 2019 soll jeder Volvo als Stromer oder Hybrid produziert werden. Teslas sind in Deutschland noch Exoten, in Hongkong sind sie bereits jetzt fester Bestandteil des Stadtbildes. Man fühlt sich an die Zeit vor zwanzig Jahren erinnert, als VCDs und DVDs in Hongkong lange eingeführt waren, bevor sie den europäischen Markt eroberten. Wird es beim Elektroauto ähnlich sein? Wahrscheinlich ja.

Ehrgeizige Ziele statt Zunkunftsangst

Die Autoindustrie ist eine Schlüsselindustrie für Deutschland und daher besonders wichtig, allerdings ziehen auch über weiteren Branchen dunkle Wolken auf, andere Sparten - wie beispielsweise die Solarindustrie - haben es in Deutschland bereits hinter sich. Deutsche Politiker und Funktionäre lamentieren seit Jahren, dass der Wettbewerb durch chinesische Unternehmen teilweise unfair betrieben wird, Antworten darauf sucht man allerdings vergeblich.

Umgekehrt setzt sich China ehrgeizige Ziele und erreicht diese auch. Der neue Hochgeschwindigkeitszug „Fuxing“ kommt weitestgehend ohne westliche Technologie aus und auch der erste eigenproduzierte Flugzeugträger „Shandong“ hat mit seinen russischen Vorgängermodellen, die zuletzt vor Shenzhen als Touristenattraktion vor Anker lagen, nichts mehr gemein. Mit dem Projekt „Made in China 2025“ will Peking bis 2025 ausländische Importe durch einheimische Innovationen ersetzen und bis zum 100. Geburtstag der Volksrepublik gar zur industriellen Supermacht aufsteigen. Ehrgeizige Ziele, aber nur wer Ziele hat, kann diese auch erreichen.

Wendet man den Blick auf die sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland, so fehlt es auch hier an einem überzeugenden Politikangebot. Sehenden Auges tappen wir in eine Falle, die für viele BürgerInnen, die 50 Jahre alt oder jünger sind, zwingend ein hohes Risiko an Altersarmut in sich bringt (Stichwort: Die Generation von Babyboomern erwartet Renten von Kindern, die sie nicht hat).

Leider sieht es so aus, als würde bis auf Weiteres alles beim Alten bleiben. Die Kanzlerin wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im Amt bestätigt werden und ihre Schäfchen weiter gut einschläfern und zumindest noch für einige Zeit ein scheinbares Gefühl von Sicherheit vermitteln. Eine echte Politikalternative zur großen Koalition gibt es derzeit leider nicht: Bei der Linken ist man sich nicht sicher, ob sie überhaupt regieren wollen und die AFD kämpft ständig mit unglücklichen Äußerungen der Parteispitze; Herr Gauland wollte zuletzt ungeliebte politische Konkurrenz einfach „entsorgen“. Bei den Grünen überzeugen weder Themen noch Führung. Machen wir also erst einmal weiter so und lassen die spannenden Fragen unserer Zukunft einfach offen.


Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Hermann Auer 17.09.17 15:28
... das Gefühl ...
... es sei praktisch egal, ob die nächste große Koalition von Merkel oder Schulz angeführt wird? Aber nicht doch!
Wir haben hier doch zwei große Parteien, deren Programme im unteren Viertel von Seite 87 des Parteiprogramms unterschiedlicher nicht sein könnten.
CDU: "Wir wollen (...) Familien beim Erwerb von Wohneigentum mehr helfen als bisher. [Daher] werden wir ein Baukindergeld (...) neu einführen.".
SPD: "Den Erwerb von Wohneigentum für Familien (...) werden wir durch ein Familienbaugeld erleichtern."
/* Ironie Ende */