Christentum und Buddhismus Teil 4

Zwischen Himmel und Hölle

Links: Buddhas Abstieg vom Tavatimsa-Himmel und der Blick in die Welt der Toten (Buddhaisawan-Kapelle Bangkok, Ende 18.Jh.). Rechts: Höllenfahrt Christi und Zug der Erlösten (Russische Ikone, 18. Jh.).
Links: Buddhas Abstieg vom Tavatimsa-Himmel und der Blick in die Welt der Toten (Buddhaisawan-Kapelle Bangkok, Ende 18.Jh.). Rechts: Höllenfahrt Christi und Zug der Erlösten (Russische Ikone, 18. Jh.).

Wer als Christ für längere Zeit in Thailand lebt, wird unweigerlich auf die Zeugnisse buddhistischen Glaubens stoßen. Gerade die Legenden zur Lebensgeschichte des Gautama Buddha zeigen streckenweise überraschende Ähnlichkeiten zu dem, was die Bibel über die Lebensgeschichte Jesu Christi berichtet. Bei näherem Hinsehen werden dann aber auch Unterschiede deutlich, die bei allem Respekt gegenüber anderen Religionen zum Nachdenken darüber einladen, was die Besonderheit der christlichen Botschaft ausmacht.

Buddha („der Erwachte“) lebte und wirkte von 624 bis 544 vor der christlichen Zeitrechnung in Nordostindien. Mit 29 Jahren verließ er seine adelige Familie und wurde unter dem Namen „Gautama der Asket“ und „der Weise aus dem Stamm der Shakyas“ (Shakyamuni) Wanderprediger und Weisheitslehrer.

Christus („der Gesalbte“) lebte und wirkte von ca. 7 vor der christlichen Zeitrechnung bis ca. 30 nach der christlichen Zeitrechnung unter dem Namen Jeshua in Nordisrael und Jerusalem. Im Alter von etwa 30 Jahren verließ er sein Lebensumfeld einer Handwerkerfamilie und wirkte in den folgenden Jahren als prophetischer Wanderprediger.

Sowohl in den Berichten über das Leben des Buddha als auch in den Berichten über Christus gibt es Beschreibungen, die sich einer Einordnung in einen irdischen Lebensweg entziehen – Berichte von Reisen in himmlische Sphären und zu den Aufenthaltsorten der Toten. Hier vermischt sich das, was Buddha oder Christus als Wanderprediger gelehrt und gelebt haben, mit dem, was sie aus Sicht ihrer gläubigen Anhänger für die „Erlösung“ der suchenden Menschen oder auch für die „Erlösung“ der ganzen Welt getan haben.

So wird berichtet, dass der Buddha im siebten Jahr nach seiner Erleuchtung drei Monate im Tavatimsa-Götterhimmel verbrachte, um seiner dorthin wiedergeborenen Mutter Maya und den dort versammelten Göttern seine Lehre zu predigen. Ein bekanntes Bildmotiv zeigt den Abstieg des Buddhas aus dem Tavatimsa-Himmel, begleitet zur Rechten und zur Linken von den Göttern Indra und Brahma. Dieser Abstieg des Buddhas öffnet die Grenzen zwischen Himmel, Erdenwelt und Totenwelt, deren Bewohner sich in diesem Moment gegenseitig sehen können.

Auch von Christus gibt es solche Entrückungsberichte: neben seiner „Himmelfahrt“ am Ende seiner Erscheinungen als Auferstandener steht seine „Verklärung“ auf dem Berg Tabor. Dort sehen ihn die drei Jünger, die ihn begleiten, in einem hellen Licht und rechts und links begleitet von Moses und Elija, den wichtigsten Propheten des Volkes Israel. Verbunden damit wird von einer Himmelsstimme erzählt, die den Christus als „Sohn“ anredet. Der Abstieg von diesem Berg schließlich leitet in den biblischen Erzählungen den Weg des Christus nach Jerusalem ein, wo er als Aufrührer gegen die römische Besatzungsmacht verurteilt und hingerichtet wird.

Neben dieser Verklärungsgeschichte entwickelte sich in der christlichen Tradition noch eine weitere Abstiegsgeschichte: nach seinem Tod und seiner Auferstehung steigt Christus hinab in das Reich der Toten, zertritt die Türen der Unterwelt und ergreift Adam und Eva, die Urahnen der Menschheit, um sie – und mit ihnen die ganze Menschheit – aus der Gefangenschaft des Totenreiches zu befreien.

Die Ähnlichkeiten zwischen den Himmels- und Abstiegsgeschichten des Buddhas und des Christus sind bemerkenswert – insbesondere darin, dass die Erlösergestalten jeweils von zwei Göttern, beziehungsweise Propheten der Religion begleitet werden, aus der sie ursprünglich entstammten. Ein entscheidender Unterschied ist jedoch bei den Auswirkungen des Abstieges zu beobachten:

Der Abstieg des Buddhas aus dem Tavatimsa-Himmel öffnet allen Lebewesen die Augen – sie können also sehen, welche Schicksale zwischen Himmel und Hölle ihnen je nach ihren Taten in ihren nächs­ten Wiedergeburten bevorstehen können. In diesem Sinne lässt sich die Geschichte als ein dringender Appell zu gutem ethischen Handeln verstehen.

Der Abstieg des Christus vom Berg der Verklärung und in das Reich des Todes zielt auf Verwandlung der gesamten Welt: die im Totenreich und in der Erdenwelt gefangene Menschheit wird begnadigt und befreit durch die Berührung des Christus.

Diese beiden Sichtweisen müssen kein Gegensatz sein: die Begnadigung der Menschheit durch den Christus mündet nach christlichem Verständnis auch in gutes ethisches Verhalten. Und umgekehrt zielt das gute ethische Handeln im Buddhismus am Ende auf Erlösung und Befreiung.

Aber die Weg dorthin und die Zielvorstellungen sind verschieden: gerade der Theravada-Buddhismus betont, dass jeder und jede diesen Weg aus eigener Kraft und Verantwortung gehen muss – bis zum endgültigen Verlöschen. Der Buddha kann dabei „nur“ die nötige Ein-Sicht vermitteln. Umgekehrt geht die christliche Tradition davon aus, dass das Wirken des Christus überhaupt erst die Möglichkeit zu eigenem Handeln gibt – und dass es auf tiefste Gemeinschaft in einer verwandelten Welt zielt.


Über den Autor:

Ulrich Holste-Helmer (56) lebt und arbeitet – auf geteilter Stelle mit seiner Ehefrau Annegret Helmer – seit 2011 als Pastor der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Thailand.

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