China erlaubt keine freie Wahl

Foto: epa/Alex Hofford
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HONGKONG (dpa) - Die «Regenschirm-Revolte» 2014 forderte freie Wahlen in Hongkong, aber Peking erhöhte nur den Druck. Carrie Lam verspricht als künftige Regierungschefin einen Neuanfang. Eine unlösbare Aufgabe?

Knapp 20 Jahre nach der Rückgabe an China steht die frühere britische Kronkolonie Hongkong am Scheideweg. «Wir sind in einen Teufelskreis geraten», sagt der frühere Parlamentspräsident Jasper Tsang. Die chinesische Sonderverwaltungsregion, die nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» seit 1997 autonom regiert wird, stecke in einem Dilemma: «Peking will mehr Kontrolle, während Hongkong mehr Demokratie will.»

Zweieinhalb Jahre nach der «Regenschirm-Revolte», als Demonstranten mit dem Ruf nach allgemeinem Wahlrecht Teile der asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole lahmlegten, wird an diesem Sonntag das höchste Regierungsamt neu besetzt. Kaum jemand bezweifelt, dass die bisherige Nummer Zwei, Carrie Lam, berufen wird. Zum einen gilt sie als Wunschkandidatin der kommunistischen Führung, zum anderen ist das Wahlgremium mehrheitlich Peking-freundlich besetzt.

Eine Überraschung erscheint unwahrscheinlich, etwa dass einer der anderen beiden Kandidaten, der populäre Ex-Finanzminister John Tsang, eine echte Chance haben könnte. Dabei würde ihn die Bevölkerung laut Umfragen wählen. Aber statt die sieben Millionen Hongkonger selbst entscheiden zu lassen, wie einst in Aussicht gestellt, stimmen wieder nur 1.200 Mitglieder eines Wahlkomitees ab. Darin sitzt vor allem die Wirtschaftselite, die von guten Beziehungen mit China profitiert.

Viele Hongkonger hätten das Gefühl, dass ihre Stimme nicht gehört wird, sagt Ex-Parlamentschef Tsang. «Besonders die jungen Leute glauben, dass alle sozialen Übel auf die undemokratische Natur der Regierung zurückzuführen ist.» Obwohl Tsang zum Peking-freundlichen Lager gehört, fühlt er sich zu allererst den Hongkongern verpflichtet und wurde sogar jahrelang zum populärsten Abgeordneten gekürt.

Die 59-jährige Lam genießt nicht ansatzweise soviel Respekt in beiden Lagern. Als bisherige Verwaltungschefin steht sie für den alten Kurs des unbeliebten, scheidenden Regierungschefs Leung chun-ying, von dem sie sich jetzt distanziert. Doch Kritiker fürchten, es werde «noch schlimmer», wie häufig zu hören ist. Lam müsse vor allem die Spaltung in der Gesellschaft und die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden, sagt Mareike Ohlberg vom China-Institut Merics in Berlin. «Ein großer Teil der Bevölkerung sieht sich als Verlierer der Wiedervereinigung.»

Die Opposition blickt pessimistisch, aber kämpferisch in die Zukunft. «Wir erwarten nichts von Carrie Lam», sagt Joshua Wong, der junge Aktivist, der 2014 die Demokratiebewegung angeführt hat. «Sie ist ein Alptraum für uns.» Egal wer ausgesucht werde, der demokratische Prozess in Hongkong hänge allein von Peking ab, sagt der Politikstudent. Er macht besonders Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping für «die harte Linie in Hongkong» verantwortlich.

«Wenn nur pro-chinesische Kandidaten antreten, ist die Wahl bedeutungslos», sagt der 20-Jährige. «Wir wollen freie Wahlen und Wettbewerb, so dass die Menschen zwischen pro-chinesischen und pro-demokratischen Kandidaten wählen können.» Aus seiner Sicht hat China freie Wahlen bereits vor 33 Jahren in der völkerrechtlich verbindlichen Gemeinsamen Erklärung mit Großbritannien versprochen.

Auch das seit der Rückgabe Hongkongs 1997 geltende Grundgesetz hatte direkte Wahlen in Aussicht gestellt, doch wollte Peking weiter die Kandidaten über ein Nominierungskomitee aussuchen, was 2014 die massiven Proteste auslöste. Am Ende scheiterte die Wahlreform. So bleibt es jetzt beim alten Verfahren mit dem Wahlkomitee.

Den Vorwurf aus Peking, die Unabhängigkeit zu wollen, weist Wong als Schmierenkampagne zurück. «Ich gehöre nicht zu denen, die für eine Unabhängigkeit eintreten, aber wir müssen die Meinungsfreiheit schützen, so dass auch eine Diskussion darüber erlaubt sein muss.»

Wong will mit seiner Partei «Demosisto» politisch Einfluss ausüben, daneben die «Straßenpolitik» mit Protesten fortsetzen, um Druck auf Peking auszuüben. Wie es mit Hongkong weitergehe, treibe seine Generation besonders um, da Autonomie und Status quo vertraglich nur über 50 Jahre gesichert sind. «2047 bin ich noch am Leben», sagt Wong. «Es ist also eine Frage, die meine Zukunft betrifft.»

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