Chaostage in Caracas

Foto: epa/Cristian Hernandez
Foto: epa/Cristian Hernandez

CARACAS (dpa) - Nicolás Maduro lässt sich neuerdings gerne dabei filmen, wie er mit seinem Auto durch Caracas kurvt. «Da, meine Arbeitskollegen», erzählt Venezuelas Präsident, als es an einer Busstation vorbeigeht - er war früher Busfahrer. Dann schimpft er am Steuer über diese «Terroristen der Opposition». Ansonsten ist seine Welt ganz in Ordnung. So tanzt er im Staatsfernsehen zu Salsaklängen, während draußen die Demonstranten mit Tränengas bombardiert werden.

Der Mann mit dem schwarzen Schnauzer versteht es, Parallelwelten zu erzeugen, abzulenken. Als seine bisher größte Blendgranate sieht die Opposition den Versuch, nach über 30 Toten, 700 Verletzten und 1.300 Festnahmen eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Da viele Mitglieder aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften kommen sollen, die den Sozialisten nahestehen, fürchten nicht wenige den Umbau zu einer Diktatur. Zumal Maduro das Parlament, in dem die Opposition die Mehrheit hält, in seiner jetzigen Form als «armselig» bezeichnet.

Der Präsident lässt 500.000 Milizen bewaffnen, «Colectivos» genannte Motorradbanden attackieren Demonstranten, oft wird scharf geschossen. «Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun», warnte Maduro zuletzt. Neuwahlen lehnt er ab. Dramatisch sind die Bilder, als ein Panzerwagen in eine Menge hineinfährt, die Zeichen stehen auf Sturm. Aber wie fest sitzt er noch im Sattel? Droht sogar ein Bürgerkrieg?

Treffen mit Nicmer Evans in Caracas. Der Politologe war im Bildungsministerium tätig, ein profunder Kenner des Machtapparats. Er hat mit Maduro gebrochen und ist heute der Kopf der Bewegung «Marea Socialista», die einen neuen Weg der Mitte einschlagen, das Gute des Chavismo, des von Hugo Chávez begründeten Projekts eines «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» bewahren will. «Laut einer Umfrage sind 57 Prozent weder für die Chavistas noch für den MUD», sagt Evans. MUD, das steht für «Mesa de Unidad Democratica», das konservativ-liberale Oppositionsbündnis, das seit Wochen gegen Maduro auf die Straße geht.

Evans fordert, dass nicht nur die beiden verfeindeten Lager in einen Dialog eintreten müssten, sondern dass eine Art Volksversammlung her müsse, auch mit allen gemäßigten Stimmen, um eine Lösung zu finden. «99 Prozent demonstrieren nicht», sagt der 41-Jährige.

Auch weil viele den ganzen Tag beschäftigt seien, irgendwo noch Lebensmittel zu bekommen. Wegen der Hyperinflation, dem Einbruch der Öleinnahmen und der Bedienung der milliardenschweren Auslandsschulden wird immer weniger eingeführt - der Staat hat dafür kein Geld mehr. In Caracas waren zuletzt Bäckereien ohne Brot, weil das Mehl fehlte.

Ein Irrglaube aus Evans' Sicht: Maduro stehe nicht vor dem Sturz, er sitze fest im Sattel. «Auch weil er der Garant dafür ist, dass die Auslandsschulden bedient werden.» Denn viele Parteigänger haben große Summen in Papiere des Staatskonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA) investiert - bei einer Pleite wäre alles weg. Zudem hat Maduro mit Tareck El Aissami einen Getreuen als Vizepräsidenten installiert - ihm wird von den USA Verstrickung in den Kokainhandel vorgeworfen.

Zweifelsohne gebe es aber im Führungsapparat Machtkämpfe, vor allem mit Diosdado Cabello, der schon 1992 mit Chávez einen Putschversuch unternommen hatte und es nie verwinden konnte, dass Chávez vor seinem Tod Maduro und nicht ihn als Nachfolger auserwählte. Der Vizechef der Sozialisten gilt als einer der korruptesten und skrupellosesten Politiker des ölreichsten Landes der Welt. In seiner TV-Sendung «Con el Mazo Dando» («Mit dem Hammer schlagen») hetzt er gegen die Gegner.

«Maduro hat es geschafft, seine Macht im Militär zu zementieren, durch die Ausweitung von Zuwendungen», so Evans. Von den 32 Ministern sind 11 Militärangehörige, das schafft Loyalität. Das Militär kümmert sich um die Verteilung von Lebensmitteln und betreibt diverse staatliche Unternehmen - es gibt Hinweise auf Bereicherung. Viele der für die Armen vorgesehenen Lebensmittel landen auf dem Schwarzmarkt.

Es gilt Pfründe zu verteidigen. Und auch Angst vor Strafverfolgung lässt ein freiwilliges Abgeben der Macht unwahrscheinlich erscheinen. «Maduro hat nur noch 10, maximal 15 Prozent Zustimmung im Volk», sagt Evans. Aber auch in der Opposition gibt es keine alles überragenden Anführer - oder sie sitzen wie der charismatische Leopoldo López im Gefängnis. Viele Oppositionelle kommen aus der Oberschicht und haben bisher kein Armenviertel von innen gesehen. Daher können sie auch nicht verstehen, was es bedeutet, dass einer wie Chávez - in Zeiten, als der Ölpreis hoch war - den Armen mit zig Milliarden Dollar erstmals Teilhabe, Anerkennung und ein besseres Leben schenkte.

«Das Beste des Chavismo müssen wir verteidigen», meint Evans. Also Errungenschaften bei den Sozialleistungen und im Bildungssektor. Doch der Kampf des Dissidenten für eine friedliche, neue Alternative hat einen kleinen Haken. Seit zwei Jahren lehnt die von den Sozialisten dominierte Wahlbehörde es ab, seine Bewegung als Partei zuzulassen.

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