Bedrohliche Regierungskrise in Nordirland

DUP-Chefin Arlene Foster. Foto: epa/Paul Mcerlane
DUP-Chefin Arlene Foster. Foto: epa/Paul Mcerlane

LONDON/BELFAST (dpa) - Seit einem Jahr ist Nordirland ohne Regionalregierung. Zusammen mit der Brexit-Unsicherheit über die künftige Grenze zur Republik Irland im Süden ist eine Situation entstanden, die den Friedensprozess in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gefährden könnte.

Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten hat in den Jahren 1968 bis 1994 mehr als 3.600 Menschenleben gefordert. Die Katholiken kämpften für ein vereinigtes Irland, die Protestanten für ihre Privilegien in einem Nordirland als Teil Großbritanniens.

Bis zum 9. Januar 2017 hatten die beiden größten Parteien aus dem katholischen und protestantischen Lager, Sinn Fein und die DUP (Democratic Unionist Party), miteinander regiert. So sieht es das Karfreitagsabkommen von 1998 vor. Doch die Koalition scheiterte an einem Streit um ein aus dem Ruder gelaufenes Förderprogramm für erneuerbare Energien. Dabei waren umgerechnet fast 500 Millionen Euro Steuergeld verschwendet worden. Sinn Fein machte DUP-Chefin Arlene Foster, damals Regierungschefin, dafür verantwortlich.

Als Foster sich weigerte zurückzutreten, gab Sinn-Fein-Politiker Martin McGuinness seinen Posten als Vizeregierungschef auf - und brachte damit die ganze Koalitionsregierung zu Fall. Für die irischen Nationalisten erwies sich das als kluger Schachzug: Bei einer vorgezogenen Wahl konnte Sinn Fein beinahe gleichziehen mit der DUP.

Wenige Wochen nach der Neuwahl starb der ehemalige Kommandant der Untergrundorganisation IRA und spätere Architekt des Karfreitagabkommens McGuinness. Bei seiner Trauerfeier war ein Geist der Hoffnung zu spüren. Arlene Foster erhielt Applaus, als sie die Kirche betrat. Bill Clinton würdigte McGuinness in einer Rede als Friedensstifter: «Wenn ihr ihn wirklich ehren wollt, dann müsst ihr sein Werk vollenden», sagte der Ex-US-Präsident.

Doch bislang zeichnet sich keine positive Wendung in der nordirischen Regierungskrise ab. Bei den Gesprächen über eine Neuauflage der Koalition verstrich eine Frist nach der anderen. Als Streitpunkte gelten vor allem die Forderung von Sinn Fein, die irische Sprache der englischen gleichzustellen und der Widerstand der DUP, die gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen.

Dazu kommt, dass die britische Regierung in London ihre Glaubwürdigkeit als neutraler Vermittler eingebüßt hat, seit sie auf die Unterstützung der DUP angewiesen ist. Die Konservativen von Premierministerin Theresa May verloren bei der vorgezogenen britischen Parlamentswahl im Juni 2017 ihre Mehrheit - als Königsmacherin kam nur die DUP in Frage, die mit zehn Sitzen im Parlament in London vertreten ist.

Zudem erweist sich inzwischen das Thema Irland bei den Brexit-Gesprächen als kniffligster Streitpunkt. Mit dem geplanten Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion läuft alles auf Grenzkontrollen zwischen Nord und Süd hinaus. Das wollen zwar alle Seiten vermeiden, wie das gehen soll, ist aber bislang unklar.

Ein Alternative wäre ein Sonderstatus für Nordirland innerhalb des europäischen Binnenmarkts und der Zollunion. Doch das würde die Irische See zur Zollgrenze machen - in den Augen der nordirischen Protestanten ein Schritt in Richtung eines vereinten Irlands. Die DUP lehnt das strikt ab. Im Dezember ließ sie die Muskeln spielen und pfiff May vom Verhandlungstisch in Brüssel zurück um eine Formulierung in der Vereinbarung über die erste Phase der Brexit-Gespräche abzuschwächen, für May eine demütigende Erfahrung.

London und Dublin wollen bald eine neue Runde für die Verhandlungen zwischen den Streitparteien einläuten. Doch es gibt wenig Hoffnung auf einen Durchbruch. Beide Seiten beschuldigen sich, die Verhandlungen in die Sackgasse geführt zu haben.

Sollten die Gespräche erneut scheitern, fordert die DUP inzwischen eine Rückkehr zur Direktverwaltung aus London. Das sei zwar «die schlechtere Alternative, aber wenigstens eine Regierung», sagte Foster in ihrer Neujahrsansprache. Die DUP kann damit rechnen, als Mehrheitsbeschafferin in London viel Einfluss auf eine aus der Zentrale gesteuerte Politik in Nordirland zu haben.

Sinn Fein dagegen hat als Ziel ausgegeben, möglichst bald ein Referendum über die Vereinigung mit dem Süden abzuhalten. Ihr scheidender Langzeit-Chef Gerry Adams provozierte kürzlich mit der Feststellung, es gebe keine «absoluten Schutz» mehr aus London für die Aufrechterhaltung der Union mit England, Schottland und Wales.

Die irischen Nationalisten dürften darauf spekulieren, dass die Zeit für sie arbeitet. Der anstehende EU-Austritt scheint die traditionellen Mehrheitsverhältnisse ins Wanken zu bringen, wonach die Protestanten immer die Nase vorn haben. Beim Brexit-Referendum 2016 folgte eine knappe Mehrheit der Nordiren der Empfehlung Sinn Feins und stimmte für den Verbleib in der EU. Die DUP hatte sich für den Brexit ausgesprochen.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.