Balkanroute geschlossen - Schleuser machen weiter gute Geschäfte

 Grenze zwischen Ungarn und Serbien, ca. 200 km von Budapest. Foto: epa/Sandor Ujvari
Grenze zwischen Ungarn und Serbien, ca. 200 km von Budapest. Foto: epa/Sandor Ujvari

ATHEN (dpa) - Zäune, Wachhunde, Grenzpolizisten mit Schlagstock in der Hand. Die Balkanroute ist für Migranten weitgehend geschlossen. In Griechenland sitzen viele fest. Schleuser machen dennoch weiter gute Geschäfte.

Diplomaten in Athen sind voll des Lobes: Nach der Sperrung der Balkanroute sei die Zahl der Migranten und Flüchtlinge, die auf diesem Weg nach Mitteleuropa zu gelangen versuchen, schlagartig zurückgegangen. Im Januar 2016 kamen knapp 67.500 Migranten und Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland und reisten danach nach Mitteleuropa weiter. Ein Jahr später - im Januar 2017 - waren es gerade einmal 1.393. Die meisten von ihnen sitzen zusammen mit weiteren rund 61.000 Menschen in Flüchtlingslagern auf den Inseln und dem griechischen Festland fest. Dennoch: Die Schlepper machen auch jetzt noch Geschäfte. Sie haben nämlich umgestellt: «Ich kenne einen geheimen Weg», sagen sie den Migranten und verdienen weiter auf Kosten der verzweifelten Menschen.

Am schlimmsten dran sind die Migranten, die auf den griechischen Inseln festsitzen. Seit April 2016 gelten für sie die Bestimmungen des EU-Türkei-Flüchtlingspaktes vom März 2016. Wer aus der Türkei zu den griechischen Inseln im Osten der Ägäis übersetzt, muss dort solange bleiben, bis die Asylrichter entschieden haben. Wer kein Asyl bekommt, soll zurück in die Türkei geschickt werden. Bislang wurden auf Grund dieses Paktes knapp 900 Menschen zurückgeschickt. Der türkische Staat und sein Präsident Recep Tayyip Erdogan halten den Pakt mit der EU ein. Dafür sollen stufenweise mehr als drei Milliarden Euro aus EU-Kassen nach Ankara fließen.

Die Asylverfahren in Griechenland ziehen sich wegen Personalmangels in die Länge; bislang hat die EU nur einen Bruchteil der versprochenen rund 400 Asylrichter geschickt. Das Ergebnis: Streitigkeiten, Schlägereien und Randale in und rund um die sogenannten Hotspots, die Registrierzentren der Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos.

«Auf den Inseln ist die Lage schlimm. Nach sechs Jahren habe ich meine Versetzung beantragt», sagt ein Offizier der Küstenwache der Deutschen Presse-Agentur. Er habe tote Kinder gesehen. «Nachts wache ich manchmal schweißgebadet auf», sagt er. Schwierig ist es auch für die Asylrichter. Viele Flüchtlinge stellen ihnen die Frage: «Würden Sie mit Ihrer Familie heute in die Türkei gehen?»

Etwas besser ist die Lage auf dem Festland. Die Menschen müssen nicht befürchten, zurückgeschickt zu werden. Rosig ist ihre Zukunft in dem von der Pleite bedrohten Griechenland nicht. Der Staat hat wenig Mittel, ihnen zu helfen. Rassistische Überfälle wie in Mitteleuropa hat es in Griechenland kaum gegeben. Hier und dort protestieren Rechtsextremisten gegen die «Migrationswelle», sagt ein Polizeisprecher. «Sonst keine nennenswerten Zwischenfälle.»

Der Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras gelingt es bislang, die Lage einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Noch vor einem Jahr saßen Tausende Migranten im berüchtigten Elendslager von Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze fest. Nach der Errichtung des Zaunes kam es dort wiederholt zu Erstürmungsaktionen des Zauns und Zusammenstößen mit der Grenzpolizei. Autonome stachelten die verzweifelten Menschen an, reißende Bäche zu überqueren, um den Zaun zu umgehen. Dabei kamen mehrere Migranten ums Leben.

Den griechischen Behörden gelang es schließlich, das Lager ohne Gewaltanwendung zu räumen. Die Migranten sind jetzt in Lagerhallen, in Containerwohnungen und in Zeltlagern in der Region rund um die Hafenstadt Thessaloniki untergebracht. Nicht alle Lager sind für den Winter gut ausgerüstet. Einige Lager gibt es auch in Mittelgriechenland.

Kopfschmerzen bereitet den Migrationsbehörden ein wildes Lager mit rund 1500 Menschen in Hellinikon, dem alten, geschlossenen Flughafen Athens. «Es ist hier schlimm. Wir werden so bald wie möglich die Menschen woanders unterbringen», versichert der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas.

Und dann gibt es die Schleuserbanden: Sie sind flexibel und haben umgestellt. Jetzt versprechen sie den Migranten für viel Geld, sie über alternative Strecken weiter gen Norden zu befördern. Fast täglich nimmt die Polizei in Nordgriechenland Schlepper fest. Sie versuchen kleinere Migrantengruppen mit Pkw und Minibussen aus der Gegend um den griechisch-türkischen Grenzfluß Evros nach Westgriechenland zu bringen. Ist Thessaloniki erreicht, gabeln sich die Wege. Ein Teil der Migranten wird über die mazedonische Grenze weiterbefördert, über Grenzübergänge wie Niki-Medzhitlija und Doirani-Dojran, die nicht durch einen Zaun gesichert sind.

Ein anderer Teil nimmt die alte Migrationsroute nach Italien: Die westgriechischen Häfen von Patras und Igoumenitsa waren in den vergangenen 20 Jahren Drehscheibe der illegalen Migration auf der Route Türkei-Griechenland-Italien. Von dort laufen täglich mehrere Fähren zu den italienischen Häfen Brindisi, Bari, Ancona, Venedig und Triest aus. Dutzende Migranten versuchen täglich, unbeobachtet oder in Lastwagen versteckt auf eine dieser Fähren zu kommen.

Experten in Athen können nicht sagen, ob die relative Ruhe von Dauer sein wird. «Das gesamte östliche Mittelmeer ist destabilisiert. Ich lege nicht die Hand ins Feuer, dass mit der Schließung der Balkanroute das Problem gelöst ist», sagt ein mit dem Thema Flüchtlingszustrom vertrauter hochrangiger griechischer Diplomat.

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