Auf der Reeperbahn nachts um halb eins

Ein Pattayaner auf Sommerreise Teil 5: Hamburg

Hotelzimmer im ehemaligen Bordell.
Hotelzimmer im ehemaligen Bordell.

Vom Internetcafe in Hamburg rufe ich mal rasch die Lieben in Pattaya an, um zu sehen, ob es überhaupt noch steht - oder ist es vielleicht doch schon im Dauerregen abgesoffen? Könnte ja sein. Das etwa fünfminütige Gespräch kostet nur 1.46 Euro. Die Türkin im Internetcafe versteht mein Deutsch nicht, fragt, ob ich denn wohl aus Österreich sei? Was für eine Beleidigung! Wussten Sie übrigens schon, dass das Hamburger Abendblatt eine Morgenzeitung ist? Helmut und Locky Schmidt feiern gerade die Eiserne Hochzeit, beide sind weit über 80 und rauchen immer noch. Günter Biesenack hingegen ist tot (ob er geraucht hat, wissen wir nicht), die Todesanzeigen im Hamburger Abendblatt stehen auf derselben Seite wie die Geburtstagsglückwünsche, da werben logischerweise auch die Bestattungsunternehmen für ihre wertvollen Dienste.

Ich gehe auf eine "schicke" City Tour durch Hamburg, obwohl ich jeden der Mitpassagiere hasse und diese dümmlichen, humorigen Kommentare der Reiseführerin nicht ausstehen kann. Bei jedem Stopp, wenn früher zugestiegene Passagiere den Bus verlassen, erinnert sie an die Kaffeekasse, penetrant. Da könnte man ja mal wieder 10 Baht investieren, denke ich, die klingen immer noch wie zwei Euro und sehen auch so aus. Eine City Tour liefert den raschesten Überblick über eine Stadt. Als der Bus die Lange Reihe durchfährt wird mitgeteilt, dass hier die Hamburger Schwulenszene von St. Georg beheimatet ist, das wussten wir schon. Das wird völlig wertneutral vermittelt, die sind heute in Deutschland eben wirklich liberal, fast wie in Pattaya. Ich bin in St. Georg im schmucken Hotel Village abgestiegen, das ist ein ehemaliges Bordell mit viel Plüsch, Kristallleuchtern und Kitsch. Es ist nicht teuer, zentral gelegen, und die Leute sind äusserst freundlich und hilfsbereit.

Wir sehen auf unserer City Tour die prächtigen Villen an der Aussenalster, fahren an der Binnenalster vorbei, sehen die grossartige Innenstadt, das Rathaus, da drüben ist offenbar Millerntor, jetzt erst verstehe ich den Namen von Heikos Boot in Pattaya, Millerntor sagte mir bis jetzt rein gar nichts. Der Dalai Lama ist gerade in der Stadt, er hat mir im Presseklub in Bangkok einmal die Hand gegeben, der Mann hat eine starke Ausstrahlung. Hamburg ist auf meiner Sommerreise wiederum eine ausserodentlich prachtvolle europäische Stadt und zählt 2.485 Brücken. Die Scheidungsrate liegt bei 70 Prozent. In Pattaya ist sie kaum höher, vermute ich jetzt mal. Chr. Weimeister verkauft Tauwerk, Schiffslaternen und Beschläge. "Kein Mensch ist illegal", wissen sie an der berühmten Hafenstrasse. Auch Hochwasserschutzanlagen haben die hier, das wird wohl seine Gründe haben. Würden Sie ausgerechnet bei Wucherpfennig ein Auto mieten? Dann schon lieber rasch in den Penny Market, weil hier die Devise gilt: "Frisch trifft billig." Überall in Hamburg werden Pfifferlinge zu Rührei gereicht, Rührei ist wahrscheinlich der Hamburger Beitrag zur Weltspeisekarte. Kochen können sie hier nun wirklich nicht, sie kochen aber gerne mal eine Waschmaschine. Poppenbüttel ist nicht weit, das könnte man problemlos sehen und dann – sterben? Lieber nicht.

Die Hauptsache von Hamburg ist natürlich der Hafen, wo übrigens fast immer eine steife Brise weht, mein Jung. Es ist überhaupt immer kalt hier, man friert ununterbrochen an den Arsch in diesem Hamburg, am Hafen ganz besonders, wo die Lohnsklaven von Blohm – Voss ewig laden und abladen, Leute ewig ankommen und abfahren. Für all diese Ankommenden und Abfahrenden haben Häfen immer eine Sexindustrie und Bordelle gehabt. Die Reiseleiterin erzählt die traurige Geschichte von einem dänischen Prinzen, der inkognito die Stadtbäckerei besuchte, ein damals bekanntes Puff. Dummerweise starb er während seiner sexuellen Aktivitäten (das erinnert doch irgendwie an Pattaya). Die Huren haben den nackten Körper dann einfach auf die Strasse gelegt, es war allen etwas peinlich, als herauskam, wer der tote Lustmolch war. Falls ihr gerade einen Mord plant, das Schwere ist immer, die Leiche loszuwerden, da hat man besser einen guten Plan A und dann noch einen besseren Plan B.

Pfifferlinge mit Rührei.
Pfifferlinge mit Rührei.

Erinnert sich noch jemand an den Butcher Hans? Er hatte über die Jahre verschiedene Restaurants in Pattaya, das letzte dann in der Sunee Plaza. Es ging ihm in den letzten Jahren nicht mehr gut. Im Vollsuff hatte er mit seinem Motorrad ein parkiertes Auto in der Second Road gerammt. Von diesem schweren Unfall hat er sich nie mehr richtig erholt, ging am Stock, hatte dauernd Schmerzen und starb verarmt vor etwa drei Jahren in der Schweiz. Ich habe ihn manchmal in seinem Restaurant besucht, wenn ich eine "Saucisson", eine sehr fette Wurst aus der Schweiz bekam und brachte dann auch immer ein paar Flaschen Wein mit. (Alois Fassbind tat manchmal dasselbe.) Hans Baumgartner liebte Fleisch, in jedem Sinn, er stand auf Thais. (Wahrscheinlich hätte er das Groteske in folgendem Satz erkannt und herzlich darüber gelacht: "Die vegetarische Metzgerstochter ist schwanger.") In seiner Jugend reiste er viel, hatte in Südafrika ein Zeitlang eine gutgehende Metzgerei, aber als er die Schweiz das erste Mal verliess, heuerte er auf einem Schiff an und kam deshalb nach Hamburg – hier in Hamburg erinnere ich mich daran.

Natürlich ging er da auch auf die Reeperbahn. In den Rotlichtbezirken der Hafenstädte gab es auch immer eine kleine Schwulenszene, die Matrosen leben ja ohnehin die meiste Zeit in einer verdächtigen Männergesellschaft, ganz ohne Frauen. Hans war damals noch ein junger Mann, scheu und vollkommen unerfahren, aber eine lebenskluge Hure auf der Reeperbahn diagnostizierte mit sicherem Gespür Homosexualität bei ihm. Sie schnappte den leicht betrunkenen jungen Mann und bugsierte ihn rüber zu ihrem schwulen Bruder. Der nahm einen kräftigen Schluck Whiskey, küsste Hans und bliess ihm, als sich die Zungen berührten, den Whiskey in den Mund. Das war seine Initiation. In St. Pauli – ja, dort gibt es auch heute nicht nur die Grosse Freiheit - amtet momentan Pfarrer Martin Paulekun. Und kurze Zeit später stehen wir auf dem Hans-Albers-Platz, wo ein ziemlich unsägliches Denkmal an den Barden erinnert. Von da an rotiert sein Ohrwurm: "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob dun Mädel hast oder auch keins" unaufhörlich in meinem Gehirn, ich summe das auch noch, nur gut, dass man das im FARANG nicht hören kann, die Leser würden sich ja beschweren für ihr Geld. Im Hotel Alt Hamburg können Schüler, Studenten, Jugendliche und Seeleute übernachten, pro Bett kostet das 26.50 Euro, Frühstück incl. In der Kneipe nebenan nehmen sie meine Frage sehr wörtlich: "Kann ich ein Bier kriegen?" "Natürlich!" Wussten Sie schon, dass die Hafenlotsen einen Ältermann haben?

Es ist saukalt in Hamburg.
Es ist saukalt in Hamburg.

Auf dem Bus zum Flughafen lerne ich einen netten älteren Herrn aus Chiang Mai kennen, der an akutem Heimweh leidet. Seit seiner Pensionierung vor sieben Jahren lebt dieser Deutsche dort. Er hat jetzt gerade drei Monate in Deutschland verbracht, und ist froh, heute heimzufliegen. Er vermisst so vieles an Thailand. Er hat in Chiang Mai ein nettes Häuschen und eine liebe Freundin. Er erzählt mir all diese Dinge, nachdem er erfahren hat, dass ich aus Pattaya bin. Ich verstehe ihn gut.

Am Flughafen wird Akupressur-Massage angeboten, 1 Euro die Minute, etwas teurer als in Pattaya. Ich bestelle ein Paar Wiener Würstchen und ein Weissbier bei S.E., wie ich dem Namensschild entnehme, einem tuntigen Blonden. Jetzt geht es ab nach Berlin, der letzten Station meiner Sommerreise. Leichtes Heimweh nach Pattaya ist jetzt durchaus schon vorhanden.

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