Al-Rakka als Zentrale des Bösen: Wie der IS Terroranschläge plant

 Der US-Sonderbeauftragte für die Anti-IS-Koalition, Brett McGurk. Foto: epa/Philipp Guelland
Der US-Sonderbeauftragte für die Anti-IS-Koalition, Brett McGurk. Foto: epa/Philipp Guelland

ISTANBUL (dpa) - IS-Attentäter bekommen meistens Instruktionen von höherer Stelle. Die Extremisten nutzen verschlüsselte Nachrichten, um zu kommunizieren. Die größte Gefahr stellen Zellen dar, die von außen gesteuert werden.

Bis vor einigen Jahren war Al-Rakka eine schmucklose Stadt im Norden Syriens, die kaum jemand in der Welt kannte. Ausländer fanden nur selten den Weg in die Region. Was sollte sie schon in diese Wüstengegend verschlagen? Die rund 200.000 Einwohner lebten vom Wasser des Euphrats und von der Landwirtschaft.

Mittlerweile aber ist Al-Rakka weltweit zu Berühmtheit gelangt: als heimliche Hauptstadt der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Bürgerkriegsland Syrien. Vor allem aber auch als der Ort, von dem aus die Extremisten global Anschläge vorantreiben. Vor sechs Monaten noch habe der IS von dort aus große Angriffe geplant, sagte der US-Sonderbeauftragte für die Anti-IS-Koalition, Brett McGurk.

Unklar ist noch, ob auch die Angreifer in Spanien ihre Anweisungen aus Syrien erhielten, so wie vor ihnen andere. Najim Laachraoui etwa, einer der Attentäter von Paris und Brüssel, stand vorher in Kontakt mit einem IS-Anführer namens Abu Ahmed. Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass dieser sich damals in Al-Rakka aufhielt.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden gehen auch fast alle bislang in Deutschland verübte Attentate auf Personen zurück, die über den Cyberraum von «Headhuntern» des IS bis zuletzt gecoacht worden seien. Dies gelte auch für den Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin. Anis Amri wurde demnach bei seinem Anschlag bis zuletzt über sein Mobiltelefon von Syrien aus angeleitet und begleitet.

Damit die Instruktionen der Hintermänner ihre Empfänger Tausende Kilometer entfernt erreichen, verwenden die Extremisten Nachrichten-Dienste, die jedem Smartphone-Besitzer zugänglich sind. Besonders beliebt sind die Anwendungen WhatsApp und Telegram, die Nutzern eine sichere Verschlüsselung bieten. Für die Geheimdienste weltweit ist es meistens unmöglich mitzulesen. Selbst wenn sie das Gerät eines Extremisten in die Hände bekommen, kann passieren, dass sie leer ausgehen: Mit Telegram lassen sich Nachrichten so verschicken, dass sie sich nach einer bestimmten Zeit selbst löschen.

Um Sympathisanten Anweisungen zu geben, nutzt der IS aber auch Online-Publikationen, die jedem einigermaßen findigen Internet-Nutzer zugänglich sind. Im November vergangenen Jahres verbreiteten die Dschihadisten in ihrem Magazin «Rumiyah» einen Artikel, in dem sie detailliert erklärten, wie Angreifer einen Anschlag mit Fahrzeugen verüben können, «eine der sichersten und einfachsten Waffen», wie es hieß. Nicht zu kontrollieren ist IS-Propaganda wie diese, weil sie dezentral produziert und verbreitet wird.

Die wichtigsten Hintermänner mögen in Al-Rakka sitzen - doch Helfer weltweit unterstützen sie. Jeder Dschihadist betreibe heute «sein eigenes kleines Nachrichtenportal», schreibt der Journalist Abdel Bari Atwan in seinem Buch «Das Digitale Kalifat». Wegen seiner militärischen Verluste in Syrien und im Irak hat der IS laut Sicherheitskreisen die Ideologie eines virtuellen Kalifats ausgegeben. Über die sozialen Netzwerke werden Anhänger dazu aufgerufen, nicht mehr in die Kriegsgebiete zu reisen, sondern Anschläge zuhause zu verüben.

Daneben nutzen die Extremisten auch eine klassische Methode von Terrorgruppen, um möglichst unentdeckt zu agieren: die Bildung von geheimen Zellen. Abu Musab al-Suri, ein einflussreicher Vordenker der Dschihadisten, widmete diesem Thema in einer seiner Schriften ein Kapitel. Er rühmte dabei das «Ausmaß des Terrors und der Furcht», die Operationen von Zellen verbreiteten, wie der Dschihad-Experte Rüdiger Lohlker in seinem Buch «Die Salafisten» erklärt. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es, das größte Risiko für einen dschihadistisch motivierten Anschlag gehe unter anderem von aus dem Ausland gesteuerten Kleinstgruppen - sogenannten Hit-Teams - aus.

Seit dem Beginn einer Offensive von syrisch-kurdischen Truppen auf Al-Rakka haben die Extremisten mehr als die Hälfte der Stadt verloren. Fachleute sind sich sicher, dass die Fähigkeit der Terrormiliz, von dort aus Anschläge zu verüben, deutlich verringert wurde. «Wenn Du unter Druck stehst in Al-Rakka, dann sitzt Du dort nicht mehr rum und planst Angriffe», sagte ein General der Anti-IS-Koalition Ende Juni. «Dann kämpfst Du um Dein Leben.»

Allerdings dürften Teile der IS-Anführer schon in andere Gebiete unter Kontrolle der Extremisten weiter östlich geflüchtet sein. So bleibt auch die Gefahr von Anschlägen bestehen. Guido-Steinberg, Terrorexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ist davon überzeugt, dass der IS sogar vorgesorgt hat. Attentate seien schon seit Ende 2013 geplant worden: «Wir müssen befürchten, dass die alten Planungen mit einem Erfolg zu Ende gebracht werden, ohne dass der IS noch aus Al-Rakka die Fäden ziehen kann.»

Ein schnelles Ende der Terrorgefahr erwartet Steinberg nicht. Der IS habe eine hohe «ideologische Attraktivität» und viele junge Leute in seinen Bann gezogen, erklärt der Terrorexperte. «All die wird man in den nächsten Jahren nicht zurückgewinnen können. All die wird man auch nicht kontrollieren können. Es sind zu viele. Es gibt sehr viel mehr IS-Terroristen, als es Al-Kaida-Anhänger gab.» Aus deutschen Sicherheitskreisen heißt es, man gehe davon aus, dass der IS derzeit Anschläge in Europa und vor allem in Deutschland plane.

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