AfD beantragt «Hammelsprung»

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) leitet am 18.01.2018 die Sitzung des Bundestags in Berlin. Foto: --/Deutscher Bundestag/dpa
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) leitet am 18.01.2018 die Sitzung des Bundestags in Berlin. Foto: --/Deutscher Bundestag/dpa

BERLIN (dpa) - Der Bundestag hat am späten Donnerstagabend eine Sitzung abbrechen müssen, weil das Plenum wegen zu wenig anwesender Abgeordneter nicht beschlussfähig war.

Die Nachzählung, der sogenannte Hammelsprung, hatte die AfD-Fraktion verlangt. Dabei kam gegen 23.20 Uhr heraus, dass nur 312 Abgeordnete da waren - es hätten aber die Hälfte der 709 Mitglieder, also 355, sein müssen, wie eine Sprecherin des Bundestags am Freitagmorgen mitteilte. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) musste deswegen nach der Geschäftsordnung des Parlaments die Sitzung abbrechen.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland teilte dazu mit: «Der aktuelle Hammelsprung ist die Revanche für die Nicht-Wahl von Roman Reusch. So lassen wir uns nicht behandeln! Das ist erst der Anfang.»

Der Bundestag hatte zuvor nachmittags den AfD-Kandidaten Reusch für das Parlamentarische Kontrollgremium durchfallen lassen. Der brandenburgische Abgeordnete, ein früherer Staatsanwalt, bekam statt der notwendigen 355 Stimmen lediglich 210 Stimmen. Das neunköpfige Gremium ist für die Kontrolle der Geheimdienste verantwortlich. Dass die rechtspopulistische Partei nun vorerst außen vor bleibt, sorgt in der AfD für Verärgerung. 13 Prozent der Wähler würden damit ausgegrenzt, beklagte Gauland.

Der nordrhein-westfälische AfD-Abgeordnete Uwe Kamann schrieb auf Twitter zum abendlichen «Hammelsprung»: «Zum Schluss in der heutigen Plenarsitzung, nach den unsäglichen Lügen bei den Reden der etablierten Parteien und ihren undemokratischen Verhalten bei der Nichtwahl von Roman Reusch, haben diese Altparteien eine Lektion in Sachen Demokratie bekommen.»

Der Begriff «Hammelsprung» ist laut Bundestag eine Wortschöpfung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bezeichnet scherzhaft die Auszählung der Stimmen, bei der alle Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und durch eine jeweils gekennzeichnete Tür den Saal wieder betreten. Dabei werden sie gezählt.

Der SPD-Abgeordneter Michael Roth kritisierte das Vorgehen der AfD. Auf Twitter schrieb der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt: «Die AfD hat inhaltlich nix zu melden, kennt aber die Tricks der Geschäftsordnung. Was für Helden :-(.» Die Grünen-Abgeordnete Tabea Rößner bilanzierte: «Absurdes Theater, zumal auch die Reihen der #AfD nicht geschlossen waren.»

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Leserkommentare

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Jürgen Franke 20.01.18 23:05
Herr Fitz, nach China erlaubt sich
die Bundesrepublik das zweitgrößte Parlament der Welt. Der letzte Bundestag wollte dieses, eigentlich unglaubliche, Problem lösen. Aber wer will schon den eigenen Stuhl absägen, der einem ein so gutes Einkommen garantiert. Dazu kommt noch die einmalige Arbeitsatmosphäre, da die Gesetzestexte, die zur Abstimmung anstehen, von dem Heer der Lobbyisten vorgeschrieben werden.
Wilhelm Fitz 20.01.18 18:00
Überschuss und kein Ergebnis
Nach der vorletzten Wahl wurden es mehr, nämlich etwa 631. Jetzt sind es 709! Die Amis haben bei 3-facher Bevölkerung etwa 300 Abgeordnete. Bald werden es mehr Funktionäre sein als Abgeordnete!
Jürgen Franke 20.01.18 15:10
Eine vollständige Anwesenheit
ist grundsätzlich auch nicht erforderlich, da es im Hause eine Vielzahl von Besprechungen zu absolvieren gilt. Lediglich, wenn es um Abstimmungen geht, ist die Hälfte der Abgeordneten jedoch zwingend.
Jürgen Franke 20.01.18 15:09
Deutliche Worte, Herr Franzolet,
jeder Wähler gibt jedoch seine Stimme in erster Linie der Partei, von der zu erwarten ist, dass sie die Interessen vieler Menschen vertritt. Ich erlaube mir den Hinweis, dass ungültige Stimmzettel keinen Einfluß auf das Wahlergebnis haben, da sie nicht gezählt werden. Außerdem sollte jeder Mensch in einer Demokratie den Mut aufbringen, sich zu entscheiden.
Kurt Wurst 20.01.18 14:27
Auch
die AFD war nicht vollständig anwesend.
Jürgen Franke 20.01.18 10:36
Lange war es im Bundestag nicht so
lebhaft. Aber glücklicherweise kennt zumindest die AfD die Geschäftsordnung des Bundestages. Die Pau, als Vorsitzende, hatte große Mühe den Abgeordneten zu erklären, was ein Hammelsprung ist. Die Tagung mußte abgebrochen werden, da der Bundestag nicht beschlussfähig war, zumal die Beschlüsse Gesetzeskraft haben.
Rudolf Lippert 20.01.18 06:07
Nicht schlecht
Mich hat auf vielen Debatten-Videos auf Youtube auch entsetzt wie leer das Parlament oft ist - wo sind die alle? Die AfD hat inhaltlich nix zu melden? Aha... Wo liegt die SPD? bei 21,5 %, die CDU bei 33%? Ist klar, das strotzt nur so vor Inhalt.
Meine Prognose: In 4 Jahren wird die S P D nix mehr zu melden haben und ggf. eine 9% Partei sein. Aber immerhin werden sie die 5% Hürde noch schaffen (Inshala - müssen wir noch für beten). Und mit den 22% der CDU dann wird eine Groko nicht mehr gehen. Also geniesst die Groko solange das noch funktioniert, wobei es ja jetzt schon sehr lange dauert überhaut eine Regierung zu bilden (Macht ja nichts, kann ja ruhig noch ein halbes Jahr dauern - gemäss meinem beliebten thailändischen Kurzsatz).
Schuld sind ohnehin immer die anderen, ist klar (Kenne ich hier aber auch irgendwo her). Aber mit einem nicht beschlussfähigen Plenum Beschlüsse zu fassen ist wohl usus, aha sehr interessant. Gut zu wissen wie de facto rechtens Beschlüsse bei beschlussunfähigem Plenum gefasst wurden/werden...Cool. Absurdes Theater nennt man das. Wenn ich in der Straba ohne Ticket unterwegs bin ist das nicht absurd, sondern ich werde aus dem Verkehr gezogen sogar ganz und gar humorlos, keine Tricks.

By the way: ich wähle in DE schon lange nicht mehr. Wüsste auch nicht wen ich wählen sollte.