Ägyptens Krieg auf dem Sinai

Ein faszienierender Sonnenaufgang auf der Sinai-Halbinsel. Foto: epa/Khaled Elfiqi
Ein faszienierender Sonnenaufgang auf der Sinai-Halbinsel. Foto: epa/Khaled Elfiqi

KAIRO (dpa) - Ende Januar war es mal wieder soweit. Die ägyptische Armee verkündete den Tod von 42 Mitgliedern der Terrormiliz IS im Norden der Sinai-Halbinsel binnen drei Tagen. Ein Schlag gegen die Terroristen in der Unruheregion. Diese sahen das aber ganz anders. Das IS-Sprachrohr Amak veröffentlichte die Nachricht, dass die Extremisten 20 Soldaten töteten oder verletzten. Was ist nun passiert in dem Gebiet, in dem seit Jahren kriegsartige Zustände herrschen? Es bleibt unklar - weil der ägyptische Staat den unabhängigen Journalismus im Nordsinai abgeschafft hat.

Der Ausnahmezustand für das militärische Sperrgebiet, dass Ausländer nicht betreten dürfen, wird immer wieder verlängert. Zudem müssen Journalisten dem 2015 erlassenen Anti-Terror-Gesetz zufolge bei «falscher» Berichterstattung über den Konflikt mit empfindlichen Strafen von mehreren Zehntausend Euro und Berufsverbot rechnen. Anfragen für eine Stellungnahme zu diesem Artikel ließ der Sprecher des Verteidigungsministeriums unbeantwortet.

Was die autoritäre Regierung am Nil möchte, ist, dass die Welt sich an ihre Darstellung zum Kampf gegen die Dschihadisten hält. Sie berichtet regelmäßig über Erfolge, viele Getötete und Festgenommene. «Die Regierung gibt uns Stellungnahmen, die unmöglich verifiziert werden können», sagt Mohannad Sabri. Der Ägypter mit Wohnsitz in London hat ein Buch über den Sinai geschrieben und beobachtet den Konflikt in seinem Heimatland so genau wie kaum ein anderer.

Den Behauptungen der Armee stehen dabei die gegenteiligen Darstellungen des ägyptischen IS-Ablegers gegenüber. Anders als die Streitkräfte unterlegen die Dschihadisten Sabri zufolge ihre Mitteilungen aber zu einem großen Teil mit Fotos oder Videos, die die Behauptungen stützen sollen. Sie stellten sich in vielen Fällen als wahr heraus. «Wir haben eine Terrororganisation, die eine sehr viel glaubwürdigere Propagandamaschine hat, als die ägyptische Regierung», resümiert Sabri.

Die ägyptische Sinai-Halbinsel zwischen Suezkanal und Gaza-Streifen, ein seit Jahrzehnten vernachlässigter und deshalb abgehängter Landesteil, entwickelte sich nach dem Sturz des Langzeit-Machthabers Husni Mubarak 2011 mehr und mehr zu einer Unruheregion. In einigen Teilen des Nordens operieren seitdem Extremistengruppen. 2014 schworen die Dschihadisten von Ansar Beit al-Makdis («Unterstützer Jerusalems») der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Treue.

Immer wieder verübten die Extremisten Anschläge, im Jahr 2015 auch vermehrt außerhalb ihres Kerngebiets - unter anderem in der Hauptstadt Kairo. Auch den verheerenden Bombenangriff über dem Sinai auf einen russischen Ferienflieger mit 224 Toten im Herbst 2015 beanspruchte der IS für sich. Präsident Abdel Fattah al-Sisi gab später indirekt zu, dass es sich um einen Anschlag gehandelt hat.

Doch die Gefahr, die von den Dschihadisten ausgeht, scheint seitdem eingedämmt. Ägypten ist auch für Touristen - zum Beispiel in den Urlaubergebieten im Süden der Sinai-Halbinsel - ein weitgehend sicheres Land. «Die bewaffneten Streitkräfte können es als Erfolg betrachten, dass die Plattform für Operationen der Gruppe sich nicht über ein kleines Dreieck im Nordosten der Halbinsel ausgeweitet hat», schrieb Experte Zack Gold vergangenes Jahr für das Internationale Zentrum für Anti-Terror-Forschung in Den Haag.

Doch in einem Konflikt, zu dem die Weltöffentlichkeit keinen Zugang hat, kann auch Unrecht viel leichter verheimlicht werden. Zuletzt beschuldigte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die ägyptische Armee, sechs Terrorverdächtige im Nordsinai getötet zu haben, obwohl diese bereits festgenommen worden waren. Auch von vielen zivilen Opfern wird immer wieder berichtet.

Auch die Bewohner des Sinai leben in ständiger Gefahr, erzählt Mohamed Sabri, der in der Provinzhauptstadt Al-Arisch lebt. Zu Beginn des Gesprächs im Kairoer Café setzt er sich so hin, dass er die Eingangstür sehen kann. Der ausgebildete Englischlehrer hat zu viel erlebt auf dem Sinai. «Sie können es als Kriegsgebiet einstufen», sagt er. «Immer wieder bombardiert die Armee bei Al-Arisch. Unsere Häuser zittern in der Nacht».

14 Jahre lebt Sabri nun schon auf dem Sinai. Er sagt, Al-Arisch mit seiner Strandpromenade sei einst gewesen wie die Mittelmeer-Metropole Alexandria. Es sei aber nichts mehr so wie einst.

Die Militärpräsenz in der Stadt ist hoch. Vom Stadtrand bis ins Zentrum der Großstadt müssten an manchen Tagen zehn Checkpoints passiert werden. Handygespräche brächen ab, wenn die gepanzerten Armeefahrzeuge vorbeiführen. Polizei und Streitkräfte nutzten Störsender, damit versteckte Bomben am Straßenrand nicht ferngezündet werden könnten.

Sabri vermutet Zellen der Dschihadisten auch in Al-Arish selbst. Die meisten Extremisten jedoch hielten sich in der Wüste versteckt. Unter ihnen seien viele Beduinen.

Nicht nur Sabri, auch viele andere Sinai-Beobachter gehen dabei davon aus, dass der Kampf gegen die Terroristen dort schon längst vorbei sein könnte. «Die Menschen glauben, dass die Armee keinen starken Willen hat, weil sie internationale Unterstützung bekommen.» So setzte Ex-US-Präsident Barack Obama milliardenschwere Militärhilfe für Ägypten 2015 mit dem Argument der IS-Bekämpfung wieder ein.

Im Kampf gegen den Terror und der Stabilisierung der Krisenregion bleibt Ägypten eines der wichtigsten Partnerländer des Westens. Auch beim bevorstehenden Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel kommenden Donnerstag am Nil wird das Thema auf der Agenda stehen.

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