10 Jahre asiatische Tsunami: „Ach ja, da war ja mal was“

Wie aus manchen deutschen Tsunamihilfen dauerhafte Projekte wurden

Wie hier am Strand vor dem Ramada Khao Lak Resort ist an der Küste Phang Ngas reines Wohlleben angesagt. Der Tsunami ist für Touristen zu einem Teil der örtlichen Folklore geworden.
Wie hier am Strand vor dem Ramada Khao Lak Resort ist an der Küste Phang Ngas reines Wohlleben angesagt. Der Tsunami ist für Touristen zu einem Teil der örtlichen Folklore geworden.

KHAO LAK: Es ist der zweite Weihnachtstag 2004. Über Khao Lak rollt der Tsunami hinweg, bringt Tod und Verderben. Saran rennt um ihr Leben. Gott sei Dank war das damals zwölf Jahre alte Mädchen schon weit genug vom Meer entfernt, als sie wegen einiger Verletzungen nicht mehr weiter konnte. „Ich bin zusammengebrochen und konnte mich nicht mehr bewegen. Erst gegen 19 Uhr hat mein Vater mich gefunden“, erinnert sich Saran. Ihre beiden Geschwis­ter hatten ebenfalls überlebt. Aber die Mutter und fünf Verwandte waren tot.

Heute ist Saran 22 und arbeitet bei Schnorcheltouren als Tourguide und ist dabei, ihren Tauchschein zu machen. Angst vor dem Meer hat sie keine. „Ich liebe Fische und Korallen. Ich glaube, ich bin selbst ein Fisch“, lacht Saran bei dem Treffen in ihrer alten Schule in Ban Muang. In dieser Schule hatten seinerzeit die Malteser als Teil ihrer Tsunamihilfe zusammen mit der stellvertretenden Schuldirektorin Chananchida Anekmeteeprukla ein psycho-soziales Projekt ins Leben gerufen, um Schüler bei der Verarbeitung der traumatischen Tsunamierfahrung zu unterstützen. Viele hatten Angehörige verloren als auch Schulkameraden.

Normale Tragödien

Khao Lak am 30. Dezember 2004. In den Tempeln des Ortes sammelten die Behörden Hunderte Leichen.
Khao Lak am 30. Dezember 2004. In den Tempeln des Ortes sammelten die Behörden Hunderte Leichen.

Kern des Projektes war es, Lehrer und Schüler zu Peer-Beratern auszubilden. Eine dieser Schülerberaterinnen war Saran und ist es in ihrer Freizeit noch heute, auch wenn es nach zehn Jahren nicht mehr um den Tsunami geht. „Schüler kommen mit ganz normalen Problemen zu uns. Das kann die Scheidung der Eltern sein oder Liebeskummer“, erzählt Saran. Auch solche Tragödien sind ihr nicht fremd. Nach dem Tsunami hat ihr Vater wieder geheiratet, und in der neuen Familie war kein Platz mehr für sie. „Ich kam ins Waisenhaus. Mir war so elend zumute, dass ich schon mal an Selbstmord dachte.“

An diesem 26. Dezember jährt sich zum zehnten Mal der Tag, an dem nach einem Seebeben der Stärke 9,1 der Tsunami über die Küstenregionen der Anrainerstaaten des Indischen Ozeans hereingebrochen war. 230.000 Menschen starben, davon alleine in Aceh 165.000. Über 110.000 Menschen erlitten Verletzungen, über 1,7 Millionen Küstenbewohner rund um den Indischen Ozean wurden obdachlos. In Thailand waren die Westküste von Phuket betroffen und schlimmer noch das Ferienparadies Khao Lak auf dem Festland, wo fast 6.000 Menschen ums Leben kamen und in den Dörfern und Hotelsiedlungen entlang der Küste kein Stein auf dem anderen blieb.

War da was?

Heute löst der Tsunami unterschiedliche Reaktionen aus. „Was, ist das schon zehn Jahre her?“, fragen die einen überrascht. Andere denken kaum noch daran. „Wissen Sie, bei uns war das schon nach zwei Wochen kein Gesprächsthema mehr“, sagt Urs Aebi, damals Chef des Hotels The Ratcha auf der Insel Racha Yai vor der Küste Phukets. „Wir waren zu sehr mit den Aufräumarbeiten und dem Wiederaufbau beschäftigt. Wenn ich in den Jahren danach über den Tsunami gesprochen habe, dann war es mit Gästen oder mit Presseleuten“, erzählt der heutige Generalmanager des Serenity Resorts & Residences Phuket in Rawai.

Khun Prayoon (zweiter v. links), vom Katastrophenschutz in Ban Nam Khem, präsentiert sich stolz in der Gerätehalle.
Khun Prayoon (zweiter v. links), vom Katastrophenschutz in Ban Nam Khem, präsentiert sich stolz in der Gerätehalle.

Khao Lak ist längst wieder aufgebaut, schöner und größer denn je. Die großen Hotelketten haben Häuser eröffnet und damit den Massentourismus in das einstige Mekka für vorwiegend deutsche Urlauber gebracht, die sich in Strandhütten und einfachen Bungalows vom Arbeitsstress zu Hause erholten und mit dem Trubel von Phuket nichts am Hut hatten. „Keiner unserer Gäste fragt, ob Khao Lak sicher oder wie groß die Gefahr eines neuen Tsunamis ist“, erzählt Stefan Fässler, Generalmanager des Ramada Khao Lak Resort. Eine Blitzumfrage unter Deutschen bei dem fröhlichen Straßenfest mit Musik, Tanz und Essensständen der Hotels und Restaurants, mit dem der Khao-Lak-Tourismusverband am letzten Novemberwochenende die Hochsaison einläutete, ergab: „Ach ja, stimmt, das war ja hier“, oder „Passieren kann überall was.“ Die Tsunamidenkmäler gehören zum Urlaubsprogramm wie Schnorchelausflüge zu den Riffen der Andamansee oder Elefantenreiten im Dschungel.

Tiefe Wunden

Zum 10. Jahrestag sind eine Reihe von Gedenkveranstaltungen in Vorbereitung. Für deutsche Tsunamiopfer und ihre Angehörigen gestaltet die Notfallseelsorge zusammen mit den Pfarrern der deutschsprachigen katholischen und evangelischen Gemeinden in Bangkok sowie der Botschaft am Strand von Khao Lak eine Zeremonie am Morgen des 10. Jahrestags des Tsunami. Auch die Botschafter Deutschlands, Österreichs und der Schweiz wollen teilnehmen.

Pfarrer Jörg Dunsbach schreibt in einem Rundbrief an die Mitglieder der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Bangkok: „Mit einem Schlag hat diese Wellenfront tiefe Wunden geschlagen, die immer noch da sind... Viele haben geholfen, diese Wunden zu versorgen. Viele haben es geschafft, mit den inneren Verletzungen zu leben, aber niemandem ist es gelungen, all dies zu verdrängen. Es bleibt. Und es fordert auch sein Recht, angeschaut und ernst genommen zu werden.“

Verrottete Gedenkstätten

Schauplatz der thailändischen Gedenkveranstaltungen wird das Polizeiboot sein, das damals von der Welle weit landeinwärts geschleudert worden war. Aufgestellt auf einem eigens angelegten hübschen Stück Rasen, ist das Schiff, das seinerzeit zur Sicherheit für den ebenfalls in dem Tsunami ums Leben gekommenen Enkel des Königs vor Khao Laks Küste lag, eine viel fotografierte touristische Attraktion.

Andere Stätten der Erinnerung sind in einem weniger guten Zustand. Das hölzerne Fischerboot, das die Betonwelle der Tsunamigedenkstätte in dem damals schwer zerstörten Ban Nam Khem krönt, sieht inzwischen so aus, als seien weitere Tsunamis darüber hinweggerollt. Ebenfalls in einem sehr beklagenswerten Zustand ist der Friedhof, auf dem fast 500 Tsunamitote aus aller Welt begraben sind, deren Identität nie geklärt werden konnte. Über dem Friedhof liegt der Gestank der riesigen Müllkippe gegenüber. Marie-Theres Benner ist entsetzt. „Das erinnert mich an Leichengestank von damals“, sagt Benner, die im November zusammen mit einer Gruppe deutscher Journalisten ehemalige Tsunamiprojekte der Malteser in Khao Lak besucht hatte. In letzter Minute haben sich die Thaibehörden jetzt doch daran gemacht, den Friedhof irgendwie in Schuss zu bringen. „Dass überhaupt auf den letzten Drücker etwas passiert, ist den Protesten der Expats zu verdanken“, weiß Olaf Schomber, ein Berliner, der seit 18 Jahren in Khao Lak lebt.

Saran, 22, will Karriere in der Tourismusbranche machen. Der Tsunami ist nicht vergessen, aber Vergangenheit.
Saran, 22, will Karriere in der Tourismusbranche machen. Der Tsunami ist nicht vergessen, aber Vergangenheit.

Als Länderkoordinatorin der Malteser versorgte Benner seinerzeit zusammen mit zwei thailändischen Fachkräften die Obdachlosen mit Lebensmitteln, Decken, Kleidung, Kochutensilien, Zeltplanen und Wasser. In einem zweiten Schritt engagierten sich die Malteser beim Wiederaufbau. Häuser wurden gebaut, soziale Infrastruktur und Lebensgrundlagen geschaffen sowie Projekte der Katastrophenvorsorge auf den Weg gebracht, finanziert von einer Welle der Spendenbereitschaft aus Deutschland.

Tourismus blüht

Der zehnte Jahrestag des Tsunamis hat keine Auswirkungen auf den Tourismus von Khao Lak und Phuket. Weder gebe es „Tsunamigedenkbuchungen“ noch hätten Urlauber deswegen Reisen storniert, sagen übereinstimmend Hotelmanager beider Urlaubsziele. Sie treiben vielmehr andere Sorgen um. Die Buchungen zur Hauptsaison sind wegen Putsch und Kriegsrecht etwas schwächer als in den Vorjahren. Hinzu kommen die hausgemachten Probleme Phukets, wie die exorbitant hohen Preise für Fahrten mit Tuk Tuks und Taxis, die betrügerische Jet-Ski-Mafia an den Stränden, die ungeheuer aggressiven und rüden Schneiderschlepper, Massagedamen und Souvenirverkäufer.

In letzter Minute wurde auf Phuket nach einiger Kritik eine peinliche Veranstaltung abgesagt. Die Behörden hatten allen Ernstes für den 25. Dezember eine Tsunamialarmübung am Strand von Patong geplant. Die Welt sollte sehen, dass die Insel sicher ist. Was die Welt auch gesehen hätte, wären die neuen, silbernen Metallzäune an den Bürgersteigen von Patong Beach und jenen Sackgassensois, die von der Strandstraße wegführen. Zäune und Sackgassen aber können sich bei einer Massenpanik nach einem Tsunamialarm als Todesfalle erweisen.

Besser vorbereitet

In Ban Nam Khem ist man besser auf Notfälle vorbereitet. Mit fachlicher Hilfe der deutschen Entwicklungshilfeagentur GIZ wurde ein Katastrophenschutzprojekt initiiert, das inzwischen in ganz Thailand kopiert wird. „Wir sind auf alle möglichen Katastrophen vorbereitet, egal, ob Unfälle, Hochwasser oder Dürren“, erzählt Prayoon in der Halle mit der Ausrüstung des Katastrophenschutzteams am Rand von Ban Nam Khem. Prayoon war bis zum Tsunami Fischer. „Mein Boot wurde zerstört. Ich habe überlegt ‚Was mache ich nun?’. Durch die ziemlich chaotischen Rettungsaktivitäten damals kam mir der Gedanke, dass man mit einer besseren Ausbildung mehr hätte machen können. So kam ich zu dem Katastrophenschutzprojekt“, erzählt der 47-Jährige, der durch den Tsunami 60 Familienmitglieder verloren hat, darunter seinen Vater und seine Schwiegermutter. So eine Tragödie soll sich nicht wiederholen. Das ist das Mantra von Prayoon, der heute das 50-köpfige, ehrenamtliche Katastrophenteam von Ban Nam Khem leitet. Auch zehn Jahre nach dem Tsunami sagt Prayoon im Brustton der Überzeugung: „Wären wir besser vorbereitet gewesen, hätte es weniger Tote gegeben.“

Quelle: Fotos: ml/epa

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Mike Bättig 26.12.14 15:41
Tsunami
ich war life dabei und habe 9 Mt. der CH Delegation geholfen. Erstaunlicherweise habe ich sehr schnell
Reagiert. Es ist Passiert! aber wir mussten kühlen Kopf bewahren, ich bin mit allen Leuten immer noch in
Gedanken bei den Opfern. Leider ist vieles falsch gelaufen, ich darf mich aber dazu nicht äußern.